Das Bernsteinzimmer
in mir … Ich habe Angst –«
Angst hatte auch Wachter, als er den Zustand seiner Frau sah. »Den Arzt hole ich!« sagte er und wußte sonst keine Worte, die sie trösten konnten. »Leg dich hin, Delchen, lieg ganz still … es ist bestimmt nichts Schlimmes.«
Der Zweite Hofarzt, ein Benjamin van Rhijn aus Amsterdam, den Peter I. bei seiner letzten Reise 1716 mitgenommen hatte, wollte Wachter erst an einen normalen Medicus verweisen, wurde dann aber sehr zuvorkommend, als er hörte, daß der Zar diesem Deutschen viele Sonderrechte eingeräumt hatte.
Als Wachter in seine Wohnung zurückkam, lag Adele fiebernd auf dem Bett, mit glühendem Kopf, geschwollener Zunge und schien nicht mehr zu begreifen, was um sie herum vorging. Julius saß an ihrem Bett mit weiten, angstvollen Augen und betete stumm.
»Die Mama …« stammelte er, als Wachter und der Arzt ins Zimmer stürzten. »Die Mama …«
Es war, wie Adele schon befürchtet hatte: das Kind in ihrem Leib war gestorben, das Leichengift floß bereits durch ihre Adern, Dr. van Rhijn setzte sich auf die Bettkante und sah zu Wachter hinauf.
»Hier kann nur Gott helfen –« sagte er betroffen.
»Gott ist nicht hier, aber Ihr seid da. Tut etwas! Rettet sie! Wozu habt Ihr studiert, wenn Ihr nur herumsitzen könnt und klagt. Rettet sie …«
Dr. van Rhijn nickte. »Tücher brauche ich«, sagte er. »Viel heißes Wasser, große Schüsseln und Eimer. Ob es gelingt, ich weiß es nicht.«
Drei Stunden arbeiteten sie gemeinsam an Adeles Körper und kämpften gegen den Tod. Sogar Julius, der Elfjährige, half tapfer, wenn auch weinend mit, schleppte Wasser, trug die blutigen Tücher weg, spülte die Schüsseln aus und starrte auf seine Mutter, als könne sein Blick den Tod verjagen.
Fürchterlich war es, was Dr. von Rhijn tat, aber es war die letzte Möglichkeit, Adeles Leben zu retten. Mit langen Zangen holte er das tote Kind stückweise aus dem Körper. Ein Mädchen war's, wie die Hebamme in Berlin es vorausgesagt hatte. Das faulende Fruchtwasser saugte er ab, ließ Adele zur Ader und rieb die Ohnmächtige mit kalten rauhen Tüchern ab, mischte verschiedene Pulver und Flüssigkeiten zusammen und füllte sie in eine dunkle Flasche.
»Das muß sie trinken«, sagte der Arzt und sank erschöpft auf einen Stuhl. »Fünfmal am Tag fünfzig Tropfen in Wasser.« Er blickte zur Seite auf die noch immer ohnmächtige Wachterin. Farblos war ihr Gesicht geworden, eingefallen die Backen und die Augenhöhlen. Auf ihrem Leib lagen jetzt mit kaltem Wasser getränkte Tücher, ein scharfer Alkoholgeruch war im Zimmer – zum Schluß hatte Dr. von Rhijn noch den ganzen Körper mit starkem Wodka eingerieben. »Mehr kann ich nicht tun.« Er blickte Wachter mit müden Augen an. »Jetzt können wir wirklich nur noch auf Gott hoffen …«
»Ihr habt keine Hoffnung mehr?«
»Was soll man da sagen?« Dr. van Rhijn wischte sich über das Gesicht. »Es ist das erstemal, daß ich solch eine Operation gemacht habe.«
Am nächsten Tag begann man, die erste Bernsteinwandtafel an die neue Unterkonstruktion zu befestigen. Der Zar war natürlich wieder dabei in seiner Zimmermannskleidung, davon begeistert, mitarbeiten zu können und bis in die Seele entzückt von diesem ›Wunder aus Bernstein‹, das ausgebreitet vor ihm auf den Dielen lag. Er war der einzige, der frohgelaunt war. Die Schreiner- und Bernsteinmeister fürchteten seinen Zorn und schielten immer wieder auf das spanische Rohr, das in einer Zimmerecke stand, und Wachter tappte übermüdet und mit geröteten Augen umher und starrte ab und zu wie abwesend aus dem Fenster.
»Was hat Er?« fragte Peter I. »Ist er krank? Wie sieht Er aus … Augen wie ein Kaninchen, ein welker Hals …«
»Meine Frau ist sehr krank, Majestät … Ein Kind hat sie verloren …«
»Das kenne ich. Dafür wird ein neues kommen …«
»Im Mutterleib ist es gestorben, hat den Körper vergiftet. Der Medicus hat das Kind entfernt …«
»Welcher Medicus?« fragte der Zar plötzlich mit lauter Stimme.
»Der Zweite Hofarzt, Dr. van Rhijn …«
»Her mit ihm!« brüllte Peter I. in höchstem Zorn. »Hierher, sofort!« Die Tür riß er auf und schrie in den Gang, wo einige Lakaien warteten. »Herbringen, den Zweiten Medicus! Hier in das Bernsteinkabinett!«
Nach zehn Minuten schon erschien Dr. van Rhijn in der Tür. Seine lederne Arzttasche hatte er bei sich, im Glauben, der Zar habe sich bei der Arbeit verletzt. Aber sofort erkannte er den Irrtum, als Peter
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