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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich Julius. Er sah sich suchend um und schüttelte den Kopf.
    »Wo ist Moritz?«
    »Unterm Bett.« Wachter lachte leise. »Selbst er hat Angst vor dem Zaren.«
    »Ich habe keine Angst vor dem Zaren!« sagte Julius. »Er ist ein böser Mann … aber mich hat er angeblickt wie einen Freund.« Er hob die Laken hoch und sah seinen Vater strahlend an. »Papa … wir müssen die Tücher wechseln.«
    Adele Wachter überlebte. Ein Wunder war's … oder doch die ärztliche Kunst von Dr. van Rhijn? Nach fünf Tagen stand sie zum erstenmal auf, schwankte, auf Julius gestützt, einmal durchs Zimmer und legte sich dann, vor Schwäche zitternd, wieder hin. Aber ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen, sie aß, ganz langsam schluckend, eine kräftigende Suppe aus Rindsbouillon mit kleinen, geringelten Nudeln, die der Hofkoch hinüber ins Beamtenhaus bringen ließ.
    Der Zar war selbst dabei, als Adele zum erstenmal das Bett verließ, und sagte tadelnd, als Adele, kaum daß sie die Beine auf den Dielen hatte, einen tiefen Knicks versuchte, bei dem sie umgefallen wäre, wenn Julius sie nicht aufgefangen hätte:
    »Laß Sie den Unsinn, Adele Iwanowna! Ich bin nicht der Zar … ich bin der Zimmermann Pjotr Alexejewitsch. Draußen ist Frühling, die Bäume beginnen mit der Blüte, die Wildgänse sind zurückgekommen, die Störche fliegen ein, und das Meer leuchtet wie Silber. Wenn Sie kräftig genug ist, schicke ich eine Kutsche, und Sie fährt übers Land und erholt sich in der Sonne.« Er zögerte und fügte dann hinzu: »Der Amsterdamer Medicus ist belohnt worden. Zum Leibarzt habe ich ihn ernannt. Ist Sie zufrieden mit mir?«
    »Majestät …« stammelte Adele und hielt sich an ihrem Sohn fest. »Wie kann ich Ihnen danken?«
    »Indem Sie nach angemessener Zeit vergißt, was gewesen ist, und sich nach einem neuen Kind sehnt. Sie ist eine tapfere, schöne Frau …«
    So war es. Eine Woche später – der Aufbau des Bernsteinzimmers war zur Hälfte vollendet – fuhr eine kaiserliche Kutsche vor mit einem uniformierten Leibkutscher, und hinter dem Aufbau standen zwei Pagen zur Bedienung. Es war, als fahre eine Fürstin aus.
    Petersburg im Frühling … ein Wirklichkeit gewordenes Märchen.
    Adele weinte vor Glück und vor Ergriffenheit vor soviel Schönheit, als sie am jenseitigen Ufer der Newa stand und hinüberblickte auf die in der Sonne leuchtende Stadt, auf die Türme und Dächer, die Paläste und Häuser, die Kanäle und breiten Straßen. Und sie legte den Arm um Julius und sagte:
    »Mein Junge, das ist wirklich unsere Heimat. Vergiß es nie!«
    Die Einweihung des wiederaufgestellten Bernsteinzimmers nahm der Zar allein vor. Diesmal waren seine Narren und Zwerge nicht dabei, wie sonst bei den Festen, wo sie tanzten und purzelten, sangen, deklamierten und die Gäste verspotteten. Am Hofe wurden die über sechzig Spaßmacher wie Haustiere gehalten, die der Zar liebte und verhätschelte, die aber unter Anführung seines Lieblingszwerges Lewon Uskow nicht nur harmlose Späße trieben, um die Geladenen zu erheitern. Sie waren vor allem seine Beobachter und Spione, die auch alle Schwächen, Verfehlungen, Veruntreuungen, Lügen und Diebstähle der Würdenträger bei Hofe auskundschafteten und diese dann wie fröhliche Geschichten erzählten, während der Zar die Betroffenen scharf musterte, wie sie darauf reagierten. Im Bernsteinzimmer hingegen saß er ganz allein auf einem geschnitzten, vergoldeten Stuhl in der Mitte des ›Sonnenzimmers‹, schwieg, blickte wie in unendliche Weiten und schien sein bisheriges Leben zu überdenken … den schier ewig währenden Krieg gegen Schweden, die bisher über 300.000 Gefallenen, die vielen Enthaupteten, Geräderten und Gepfählten, die Gefolterten und zu Krüppeln Geschlagenen, die schleimigen Günstlinge und die willigen, lüsternen Mätressen. Der Zarewitsch war nach Österreich geflohen, um zu saufen und zu huren und sich als Werkzeug einer Verschwörung gegen seinen Vater mißbrauchen zu lassen. Er dachte vielleicht an die schöne Zeit in Holland und Frankreich, die ihm viele Erfahrungen und einen Tripper eingebracht hatte, der trotz Behandlung durch die Leibärzte Dr. Blumentrost, einem Deutschen, und Dr. Paulson, einem Engländer, immer wieder ausbrach, oder auch an die wilden Saufgelage, die er manchmal veranstaltete, bei denen Huren in solchen Scharen zu Diensten waren, daß Dr. Blumentrost eines Tages zu ihm sagte:
    »Majestät, schonen Sie sich. Geben Sie Ihr ausschweifendes Leben

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