Das Bernsteinzimmer
bringen Sie das Zimmer jetzt?« fragte Wachter. Große Hoffnung, das zu erfahren, hatte er nicht.
Aber Dr. Runnefeldt machte kein Geheimnis daraus. »Nach Königsberg«, sagte er.
»Königsberg.« Wachters Gehirn arbeitete fieberhaft. Königsberg. Ostpreußen. Das Bernsteinzimmer blieb im Osten! Eine winzige Hoffnung stieg in ihm auf … nach Königsberg konnte man mitkommen. Dr. Runnefeldt war nicht jemand, der sofort nein sagen würde. Wirklich, mit ihm konnte man reden. Schon daß es zwischen ihm und Dr. Wollters offensichtliche Spannungen gab, war eine kleine Tür in die Zukunft.
»Später, nach dem Endsieg, wird es im größten Museum der Welt aufgebaut.« Dr. Runnefeldt machte eine weite Armbewegung durch den ganzen Saal. »Das Bernsteinzimmer wird das Glanzstück sein. Ein Museum, das der Führer in Linz bauen wird, ein Kunsttempel für tausend Jahre …«
»Davon habe ich schon gehört. Linz an der Donau, in Österreich.«
»In der Ostmark, mein lieber Wachter. Aber diese Feinheiten kennen Sie noch nicht.« Dr. Runnefeldt lächelte breit. »Ihre Familie war immer in russischen Diensten … warum sind Sie nicht Russe geworden?«
»Das war ein Auftrag von König Friedrich Wilhelm I. Wo das Bernsteinzimmer auch sein mag, ein Wachter, der immer ein Deutscher bleibt, soll es betreuen.«
»Und Sie sind nun der letzte?«
»Ja –« sagte Wachter zögernd. »Ja, Herr Doktor. Es ist mir nie gelungen, Kinder zu zeugen. Meine Frau starb sehr früh. Ich habe sie sehr geliebt und an eine andere, neue konnte ich mich nicht gewöhnen. Ich weiß, das ist ein Fehler. Seit 225 Jahren haben die Wachters Söhne gehabt, nun erlischt mit mir der Auftrag des Königs.« Er schwieg einen Moment, dachte an Nikolaj, der vielleicht jetzt in der Eremitage in Leningrad wohnte und mit viel Glück diesen mörderischen Krieg überleben konnte. Wenn nicht … dann hatte er jetzt nicht gelogen.
Er nahm allen Mut zusammen und sah Dr. Runnefeldt voll in die Augen. Gute Augen hat er, dachte er wieder. Nur die SS-Uniform machte ihn so gefährlich.
»Und deshalb … deshalb hätte ich eine Bitte«, sagte Wachter und atmete tief durch. »Als letzter der Wachters … kann man mich da gebrauchen? Kann ich mitfahren nach Königsberg?«
Dr. Wollters drehte sich auf den Absätzen um. Die Sohlen seiner Reitstiefel knirschten über das Intarsienparkett. »Unerhört!« sagte er empört. »Was bildet sich dieser Mensch bloß ein?! Das leere Schloß kann er später bewachen und Ratten, Wanzen und Kakerlaken jagen.«
Er schwieg abrupt, und ihm war plötzlich klar, daß er einen großen, nie wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte. Prompt reagierte Dr. Runnefeldt.
»Ich will mich für Sie verwenden, Herr Wachter«, sagte er. »Aber ich bin nur zuständig bis Königsberg, bis zur Ablieferung. Was dann kommt, entscheidet Museumsdirektor Dr. Findling in eigener Verantwortung. Unter uns – Dr. Findling ist ein sehr angenehmer Mensch, und vor allem der größte Bernstein-Experte, den wir haben.«
»Ich kann also Hoffnung haben?«
»Ohne Hoffen wäre das Leben sinnlos.«
»Und Sie … Sie nehmen mich mit nach Königsberg?«
»Das weiß ich noch nicht«, Dr. Runnefeldt legte die Hand auf Wachters Schulter. Es war soviel wie ein stummes Versprechen. »Richten Sie sich auf jeden Fall darauf ein.«
Kurz nach diesem Gespräch stürzte Wachter in seine Wohnung, riß Jana Petrowna in seine Arme, küßte sie, als sei er ein junger stürmischer Liebhaber, drehte sich mit ihr im Kreis und strahlte vor Glück.
»Ich werde mitfahren, Töchterchen!« rief er. »Nach Königsberg werde ich mitfahren … mit meinem Zimmer … Bei ihm werde ich sein … bis Nikolaj aus dem Krieg zurückkommt und ihr einen Sohn habt. Vielleicht ist es wirklich besser, daß es aus dem Schloß wegkommt. Gerettet wird es und nicht unter Granaten und Bomben begraben. Jana, mein Töchterchen, das Schicksal meint es gut mit uns!«
An diesem Tag trug der für das Tagebuch des 50. Armeekorps verantwortliche Offizier auf einer Außenstelle des Korps in das Buch ein:
2.10.1942 Krasnogwardejsk :
Zur Sicherstellung der Kunstgegenstände im Befehlsbereich des L. A. K. sind vom A. O. K. 18 Rittmeister Dr. Wollters und Sonderführer Dr. Runnefeldt eingesetzt.
Und an diesem Abend – wer hat nicht Verständnis dafür – betrank sich Michael Wachter nach langer Zeit. Aus dem Schlafzimmer der Zarin Maria-Feodorowna holte er seine letzte Wodkaflasche. Er hatte sie im Bett aus Ahornholz
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