Das Beste aus 40 Jahren
diese womöglich starb. Obwohl das Mädchen sich ihr gegenüber unglaublich herzlos verhalten hatte, war sie bereit zu verzeihen. Sie hatte auch immer gehofft, dass Chiara eines Tages den Mut finden würde, die Wahrheit zu gestehen.
Aber würde sie es ertragen, dorthin zurückzukehren, wo ihre Ehe in die Brüche gegangen war? Ricos Angehörige wiederzusehen, die sie hassten und sie für ungeeignet hielten, seine Frau zu sein?
Kurz schloss Anastasia die Augen und akzeptierte das Unvermeidliche: Sie würde Rico begleiten. Es war weniger schlimm, sich mit ihren Gegnern auseinandersetzen zu müssen als mit einem schlechten Gewissen … falls Chiara das Undenkbare zustieß.
„Gib mir noch fünf Minuten, damit ich eine Tasche packen kann, Rico.“
Er atmete hörbar auf und entspannte sich. Anscheinend war er darauf eingestellt gewesen zu kämpfen. Dass sie jede Lust auf Auseinandersetzungen verloren hatte, war ihm offensichtlich entgangen.
„Du brauchst nichts zu packen. Du hast doch nichts mitgenommen, als du mich verlassen hast, Anastasia.“
„Weil ich nichts brauchte!“ Weil ich nie an deinem Geld interessiert war, was du eigentlich wissen müsstest, fügte sie im Stillen hinzu.
Sie hatte nur ihn gebraucht, und das hatte er nicht verstanden. Er war an Frauen gewöhnt, die sein Geld mit vollen Händen ausgaben, und war deshalb verblüfft gewesen, dass ihr sein immenses Vermögen völlig gleichgültig geblieben war.
Ja, für einen Mann, der von Geld und Machtgier getrieben wurde, war etwas Einfaches wie wahre Liebe so schwer zu verstehen wie eine Fremdsprache. Je mehr Schmuck und extravagante Dinge er ihr geschenkt hatte, desto weniger hatte sie sich als seine Frau gefühlt, vielmehr wie eine Geliebte, die man für ihre Dienste im Bett belohnte.
Aber das ist nun alles Vergangenheit, sagte Anastasia sich und musterte ihre alte Jeans. Ihr war mittlerweile zwar egal, was die Crisantis von ihr hielten, aber sogar sie scheute sich, mit einer Hose im Krankenhaus zu erscheinen, auf der mittlerweile mehr Farbe war als auf ihrer Malpalette.
„Gib mir wenigstens kurz Zeit, damit ich mich umziehen kann“, bat sie.
„Du kannst dich im Flugzeug umziehen“, erwiderte Rico und ging zur Haustür, nun wieder völlig beherrscht. Und beherrschend.
Wieso spiele ich da mit? fragte Anastasia sich bestürzt. Wirklich nur Chiara zuliebe? Gereizt schüttelte sie über sich den Kopf. Sie war in jeder Hinsicht unabhängig, aber Rico brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und sie tat alles für ihn. Jedes Mal. Vor allem im Bett …
Nein, diesmal würde sie ihn auf Abstand halten! Sie würde nie mehr mit ihm schlafen.
Plötzlich wurde ihr überdeutlich klar, was für einen ungeheuerlichen und möglicherweise folgenschweren Entschluss sie gefasst hatte: als würde ein Alkoholiker beschließen, in einer Brauerei zu arbeiten, oder ein Drogensüchtiger auf einer Mohnplantage. Rico war der einzige Mann der Welt, der sie vergessen ließ, dass sie eine selbstständige Frau mit eigenem Willen und Vorstellungen war – und trotzdem hatte sie sich bereit erklärt, ihn zu begleiten.
Sie musste verrückt sein.
„Einverstanden. Ich komme sofort mit. Es wird allerdings ein kurzer Aufenthalt“, informierte sie Rico. „Ich besuche Chiara, rede mit ihr, und dann bin ich auch schon wieder weg! Dein Privatjet wird mit laufenden Triebwerken bereitstehen, um mich nach Hause zu bringen.“
Normalerweise wäre sie eher barfuß von Italien nach England gewandert, als eins seiner Luxusgefährte zu benutzen. Doch die Umstände waren nicht normal, und sie wollte so wenig Zeit wie möglich mit seinen Angehörigen verbringen.
Rico lächelte spöttisch. „Keine Sorge, ich will dich auch nicht länger sehen als unbedingt nötig!“
Natürlich nicht, sagte Anastasia sich zugleich wütend und traurig. Für ihn war die Situation genauso schwierig wie für sie. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er es für einen schweren Fehler hielt, sie geheiratet zu haben. Dass er sie nicht für immer an seiner Seite haben wollte. Nur im Bett … oder sonst wo in der Horizontalen.
Sie versuchte, den schmerzlichen Gedanken zu verdrängen, und nahm Schlüssel und Handtasche. Kurz betrachtete sie Ricos breite Schultern in dem perfekt geschnittenen Jackett des teuren Designeranzugs. Ja, er sah umwerfend aus, und sie war ihm vom ersten Augenblick an verfallen gewesen. Angezogen war er unglaublich attraktiv, und wenn er gar nichts anhatte …
Ungebeten trat
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