Das Beste aus 40 Jahren
ließ den Blick anerkennend über sie gleiten, seine dunklen Augen glitzerten.
„Was ist?“, rief sie ungehalten.
Seit sie ihre Arbeit begonnen hatte, waren natürlich schon oft Leute stehen geblieben und hatten ihr zugesehen, doch sie war dabei nie so nervös gewesen. Meistens waren ihr die Zuschauer gar nicht richtig aufgefallen, aber diesen Mann hätte keine Frau übersehen. Es juckte sie förmlich in den Fingerspitzen, die regelmäßigen, markanten Gesichtszüge zu skizzieren. Zugleich sagte sie sich träumerisch, dass kein zweidimensionales Werk die Kraft und Ausstrahlung dieses Manns wiedergeben könne.
Er hatte die Statur Apollos – und wirkte auch so selbstbewusst und mächtig wie ein antiker Gott.
Plötzlich fiel ihr auf, dass sich ungewöhnlich viele Menschen im Foyer versammelt hatten, und sie betrachtete die Begleiter des Mannes genauer. Alle waren auffallend kräftig, hielten einen respektvollen Abstand zu ihm ein – und jetzt wurde ihr klar, wer sie da so eingehend musterte.
Rasch kletterte Anastasia vom Gerüst und wischte sich die Hände an der Jeans ab, bevor sie die Hand ausstreckte.
„Guten Tag. Ich bin Anastasia Silver, die Malerin, die beauftragt wurde, Ihr Wandgemälde anzufertigen.“
Als sie sich das sagen hörte, zuckte sie zusammen. Ihr Wandgemälde! Einen Mann wie Rico Crisanti interessierte bestimmt nicht, wer die Eingangshalle seines Firmensitzes mit Fresken schmückte! Solche Entscheidungen überließ er seinen Untergebenen und konzentrierte sich stattdessen darauf, seinem geradezu legendären Vermögen noch einige Millionen hinzuzufügen.
Höflich schüttelte er ihr immerhin die Hand, und sie war von dem festen Griff überrascht. Nun betrachtete Rico Crisanti den Fries, und als sie diesen sozusagen mit seinen Augen sah, wurde sie befangen.
„Sie finden wahrscheinlich, dass es schrecklich aussieht“, begann sie hektisch, „aber das ist in dieser Phase immer so. Man kann sich noch nicht richtig vorstellen, wie das fertige Werk ausfallen wird. Die Vorbereitung ist allerdings beinah genauso wichtig wie das Endprodukt und … Ihr Architekt hat jedenfalls die Entwürfe gutgeheißen“, endete sie verlegen, während er den Blick nun wieder auf ihr Gesicht richtete.
„Sind Sie immer so unruhig, Miss Silver? Dann wundert mich, wie Sie überhaupt einen Pinsel schwingen können“, bemerkte Rico und lächelte unerwartet. „Entspannen Sie sich! Was Sie mit meiner Wand anstellen, gefällt mir sehr gut.“
So, wie er es sagte, klang es äußerst intim. Persönlich. Als wäre die Wand ein Teil von ihm …
Bei seinem charmanten Lächeln wurden Anastasia die Knie weich, und sie errötete. Plötzlich wurde ihr überdeutlich bewusst, wie chaotisch sie in ihrer Arbeitskleidung aussehen musste.
„Ich bin ebenso mit Farbe bedeckt wie die Wand und muss schlimm aussehen“, meinte sie und presste die Hände an die glühenden Wangen. Warum nur war sie ausgerechnet jetzt so linkisch, wo sie doch so gern kühl und weltgewandt gewirkt hätte?
„Nein, Sie sehen ganz und gar nicht schlimm aus“, versicherte Rico Crisanti höflich. „Mir gefällt vor allem Ihr Haar: so viele Schattierungen von Rotgold und Kupfer. Es erinnert mich an Herbstlaub. Wenn ich die weißen Farbspritzer außer Acht lasse“, fügte er hinzu.
Hitze durchflutete Anastasia, während sie sich durch die üppigen Locken fuhr. „Die Farbe lässt sich zum Glück leicht auswaschen.“
Er zog die dunklen Brauen hoch. „Das Herbstgold? Ich hoffe doch nicht!“
„Die weißen Spritzer“, sagte sie und fragte sich, was sein Gefolge von diesem albernen Gespräch halten mochte. „Abends wasche ich immer als Erstes meine Haare.“
Rico Crisanti nickte anerkennend. „Ich würde Sie gern ohne die Farbe sehen, Miss Silver. Sie werden heute mit mir zu Abend essen.“
Dass er annahm, sie würde sofort zusagen, empörte sie. „Und wenn ich schon anderes vorhabe?“, fragte sie herausfordernd.
Sein arrogantes Lächeln verriet, dass er sich – und sein Angebot – für unwiderstehlich hielt. „Um acht Uhr. Etwas anderes können Sie vielleicht vorhaben, etwas Besseres nicht.“
Anastasia atmete tief durch. „Sie sind ganz schön selbstsicher“, erwiderte sie spöttisch. „Ist das ein Erbe Ihrer römischen Vorfahren? Möchten Sie wie sie die ganze Welt erobern?“
„Das kommt auf die Eroberung an.“ Fasziniert blickte er ihr auf die schön geschwungenen Lippen. „Außerdem, ich bin kein Römer, sondern Sizilianer.
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