Das Beste aus meinem Leben
alte Freundin M., deren Teint nach mehreren Bissen aussah wie handgeschöpftes Büttenpapier. Sie hyperventilierte und ließ ihre Strickjacke fallen.
»Man muss Reis essen«, flüsterte ich zu Paola. »Ich habe gelesen, dass Reis dem Essen die Schärfe nimmt.«
»Es gibt ja keinen Reis«, flüsterte sie. »Ich werde fragen, warum es hier chinesisches Essen ohne Reis gibt.«
»Nein«, flüsterte ich. »Er könnte es falsch verstehen und denken, wir fühlten uns nicht wohl ohne Reis.«
»Übrigens ein Gericht mongolischen Ursprungs«, sagte unser Gastgeber. »Es gibt keinen Reis dazu. Falls sich jemand wundert.« Er warf wieder Berge von Salat in die Brühe. Jedesmal, wenn ich ein Netz aus der Brühe zog, kullerten kleine rote Schoten heraus. Ein anderer Herr am Tisch goss Ströme von Mineralwasser in sich hinein. Aus seinen Ohren quollen Wasserdampfwölkchen. Längst waren alle nur mit dem Nötigsten bekleidet. Wir fühlten uns wie die Sünder in der Vision eines irischen Mönchs aus dem 12. Jahrhundert: Sie liegen auf einem Riesenrost und braten, und langsam tropfen ihre Seelen hinab in eine schreckliche Feuertiefe zum wartenden Teufel. Flüssige, tropfende Seelen – chchch!
»Wie heißt dieses Gericht?«, fragte jemand.
»Auf chinesisch heißt es Huo Guo «, sagte der Sinologe. »Es bedeutet Feuertopf .«
»Hat es auch eine Nummer?«, fragte ich.
»Was für eine Nummer?«, fragte er verblüfft.
»112 vielleicht«, sagte ich und zündete mir an Paolas feuerwehrroter Zunge eine Zigarette an.
Der Aldiwagen
I ch bin ein ehrlicher Mensch, einer von diesen, die sich eines Tages bei der verblüfften Geschäftsführung einer Supermarkt-Kette melden, weil sie mit Zins und Zinseszins einen Schokoriegel bezahlen wollen, den sie als Kind dreißig Jahre zuvor in einer Filiale stahlen. Allerdings habe ich als Kind nie was gestohlen, nicht mal einen Schokoriegel. So ehrlich war ich.
Aber jetzt ist etwas vorgekommen…
Paola und ich waren bei einer Party eingeladen, gar nicht weit von unserer Wohnung, so fünfhundert Meter zu Fuß. Das heißt, es wären natürlich auch fünfhundert Meter mit dem Auto gewesen, aber wir fuhren nicht Auto, weil es dort, wo die Party stattfand, keine Parkplätze gibt. Wir fuhren auch nicht mit dem Taxi. »Es ist doch ganz in der Nähe«, sagte ich zu Paola. Deshalb gingen wir zu Fuß. Aber Paola trug Schuhe mit sehr hohen Absätzen. Nach hundert Metern fragte sie, wie weit es sei, nach zweihundert Metern fragte sie wieder, nach dreihundert schimpfte sie, nach vierhundert beschloss sie, keinen Schritt mehr zu gehen. Die letzten hundert trug ich sie.
Die Party war ausgelassen. Wir tranken dieses und jenes, unterhielten uns bestens. Unsere Laune war glänzend, als wir gegen zwei das Haus verließen und auf der Straße standen.
»Wie kommen wir heim?«, fragte Paola.
»Ach, das Stückchen…«, sagte ich.
»Auf keinen Fall!«, sagte Paola. Aber ein Taxi war nirgends zu sehen. Ich wollte auch keines rufen für fünfhundert Meter. Es müsste kleine, vollautomatisch durch die Stadt schwebende Luftkissentransporter für Frauen geben, dachte ich, Mini-Hovercrafts mit einem Sessel drauf, die man einfach mit der Hand anhält. Deine Frau setzt sich in den Sessel und schwebt leise summend neben dir her, während du heimgehst. Das gibt es natürlich nicht.
Die besten Sachen gibt es immer nicht.
Ich sah mich um und entdeckte direkt neben der Haustür einen Einkaufswagen von Aldi. Leer.
»Setz dich mal rein«, sagte ich, hob Paola in die Luft und platzierte sie sanft in dem Wagen, der genau die richtige Größe hatte. Sie ließ die Beine herausbaumeln und lachte. Ich schob sie nach Hause. Die Leute, die noch auf der Straße waren, sahen uns nach. Einer rief:
»Was es heutzutage so alles bei Aldi gibt?!«
»Und so günstig!«, rief ich. Dann waren wir zu Hause, fuhren im Fahrstuhl nach oben, und ich schob den Wagen gleich ins Schlafzimmer.
Am nächsten Morgen sagte ich: »Jetzt will ich den Wagen mal zu Aldi bringen. Wo ist hier eigentlich ein Aldi?«
Paola wusste es nicht. Im Telefonbuch fand ich Aldi nicht, seltsam eigentlich. Außerdem musste Luis zum Kindergarten. Ich vergaß die Sache. Der Aldiwagen blieb im Treppenhaus stehen. Weil er da nun mal stand, nahm ich ihn abends mit zum Getränkemarkt. Paola transportierte darin Sachen in den Keller. Luis spielte mit ihm im Flur.
»Praktisch, so ein Supermarktwagen«, sagte Paola.
»Aber wir müssen doch … Wir können nicht einfach…«,
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