Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Umgang mit dem eigenen Vater geben konnte.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Curtis kam herein. Er stutzte kurz, als er mich sah, und hob zur Begrüßung die Hand.
»Hi, Annie. Was für eine Überraschung.« Ohne jede Gefühlsregung auf seinem zerfurchten Gesicht betrachtete er die Unordnung in der Küche. »Hi, Julia.«
»Hey, Curtis«, sagten wir gleichzeitig. Der Klang unserer beiden Stimmen, Curtis’ Anwesenheit in der Küche – all das verstärkte das schmerzliche Déjà-vu-Gefühl in diesem Raum nur noch mehr. Die Einzige, die fehlte, war meine Mutter. Ohne nachzudenken trat ich auf ihn zu und umarmte ihn. Er roch immer noch genauso wie damals, als wir Kinder waren, eine Mischung aus scharfer Pfefferminze und Tabak, auch wenn ich ihn noch nie mit einer Zigarette gesehen hatte.
Curtis tätschelte mir unbeholfen den Kopf und machte einen Schritt zurück. »War Mr St. Clair hier?«, fragte er Julia so förmlich wie eh und je. Curtis, der Knurrhahn, dachte ich, verbiss mir aber eine neckende Bemerkung. Manche Dinge änderten sich eben nie.
»Ja, vor ein paar Minuten«, sagte Julia. »Warum?«
»Ich habe den Wagen geholt. Er wollte zum Golfplatz.«
Julia runzelte die Stirn. »Vielleicht hat er es vergessen? Seine Sportsachen hatte er jedenfalls nicht an.«
Curtis zuckte die Achseln. »Dann hat er es sich wohl anders überlegt. Ich werde ihn schon finden.« Er winkte noch einmal und spazierte ins Foyer hinaus.
Ich sah zu Julia hinüber, doch sie starrte schon wieder auf ihr Telefon. Sie wirkte geistesabwesend und bedrückt. Nicht einmal ihre heilige To-do-Liste schien sie an diesem Tag zu interessieren. Misch dich da nicht ein , ermahnte ich mich. Ein Teil meiner selbst war fest entschlossen, ihre Traurigkeit zu ignorieren und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Seit wann kümmerte es mich, wenn Julia St. Clair schlecht drauf war? Ich musste mir eingestehen, dass unsere einträchtige Zusammenarbeit in den letzten Monaten und ihr souveräner Umgang mit diversen Hindernissen (eine zweite Kerbe in der frisch reparierten und gestrichenen Tür des Cafés war der neueste Sabotageakt) das Eis zwischen uns zwar nicht gebrochen hatte, aber doch kräftig schmelzen ließ. Inzwischen war die Schicht dünn genug, dass ich Julias Umrisse klar erkennen konnte. Was in ihr vor sich ging, war mir hingegen immer noch ein Rätsel. Immerhin war sie sowohl eine knallharte Geschäftsfrau als auch eine gute Schauspielerin. Eine gefährliche Kombination. Und so warnte mich eine innere Stimme, den St. Clairs und insbesondere Julia zu nahezukommen, auch wenn ich es allmählich satthatte, böse auf sie zu sein. Aber wer würde sonst auf mich aufpassen, wenn ich es selbst nicht tat? Ich war auf mich allein gestellt.
Sind wir letztendlich nicht alle auf uns allein gestellt? Sogar Julia St. Clair? Während ich sie dabei beobachtete, wie sie über das Display ihres Smartphones wischte und sich zwischendurch immer wieder durch die glänzenden langen blonden Haaren fuhr, fiel mir auf, dass ich sie seit unserem Wiedersehen im Juni kein einziges Mal mit einer Freundin hatte sprechen hören. Nicht einmal mit ihrem Verlobten. Wo steckte der eigentlich? War er nicht erst vor kurzem von einer seiner vielen Geschäftsreisen zurückgekommen? Ich hatte erwartet, dass seine Rückkehr sie wieder fröhlicher stimmen würde, aber in den Momenten, in denen ihre Fassade bröckelte, sah ich immer nur diesen Schatten der Traurigkeit auf ihrem Gesicht. Wollte ich wirklich wissen, wo sie der Schuh drückte? Es war ja nicht meine Schuld, dass sie immer solche Designer-Schühchen trug, die aussahen, als ob sie einem die Knöchel blutig rieben und den kleinen Zeh verstümmelten. Doch ehe ich michs versah, zog ich mir ihre Miu Mius an.
»Julia«, rief ich und warf ihr eine Birne zu. Sie hob den Kopf und fing sie mit einer geschmeidigen Handbewegung auf. »Es wird Zeit.«
»Zeit wofür?«
»Dass du lernst, den besten Cupcake der Welt zu backen.«
Oktober
14 – Julia
Zu meiner eigenen Überraschung war ich furchtbar nervös, als unsere Eröffnungsparty im Treat losging. Arbeit? Partys? War das nicht beides genau meine Welt? Nachdem mir meine Eltern fast dreißig Jahre lang vorgelebt hatten, wie man den souveränen Gastgeber spielte, hätte ich eigentlich die Ruhe und die entspannte Liebenswürdigkeit in Person sein müssen. Stattdessen verspürte ich einen unangenehmen Druck auf der Brust. Als ich meine Stirn berührte, fühlte sie sich feucht
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