Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
habt auch die Maracuja-Baisers deiner Mutter auf der Karte«, sagte sie zu Annie. »Es wäre wirklich eine Schande, wenn nicht. Ich habe noch nie in meinem Leben etwas annähernd so sündhaft Perfektes gegessen. Bestimmt erfindest du gern deine eigenen Rezepte – von deinem Talent konnte ich mich ja selbst überzeugen –, aber es geht doch nichts über ein gutes altes Familienrezept. Da ist jeder Bissen pure Geschichte! Und gegen die Tradition kommt auch der Reiz des Neuen nicht an, oder?«
»Mutter«, mischte ich mich ein, »wir würden liebend gern einige von Lucias Rezepten anbieten, aber wir konnten ihr Backbuch einfach nicht finden. Das habe ich dir schon tausendmal erzählt.«
»Oh.« Ihr Blick wanderte von mir zu Annie, als erwartete sie eine Bestätigung. Annie nickte bedrückt. »Nun, wir dürfen uns nicht entmutigen lassen! Ich werde Jacqueline und die anderen Mädchen anweisen, sich auf die Suche zu machen«, sagte meine Mutter. Mit den »Mädchen« meinte sie ihre übrigen Hausangestellten. »Operation Lucias Backbuch. Die Damen haben sicher ein Händchen dafür, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Leider hatten sie bislang kein Glück, was den Schmuck meines Mannes betrifft.« Sie seufzte. »Andererseits würde ich an ihrer Stelle vielleicht auch zögern, eine teure Uhr abzuliefern, wenn ich sie zufällig in die Finger bekäme. Würdest du das tun?«, fragte sie Annie unverblümt.
Mir klappte die Kinnlade herunter. Annie und ich wechselten einen Blick und verzogen fast gleichzeitig das Gesicht.
»Hier wohne ich«, rief Annie schließlich, ohne auf die Frage einzugehen, und klopfte an die Fensterscheibe, als Curtis vor dem Gebäude hielt. »Meine Wohnung würde dir gefallen«, neckte sie meine Mutter. »Sie ist sehr gemütlich. Sehr originell. Und es gibt erstaunlich wenig Nagetiere. Magst du kurz mit raufkommen und sie dir ansehen?«
Meine Mutter setzte sich aufrecht hin, knöpfte ihren Blazer zu und räusperte sich. »Das wäre ganz reizend. Ein andermal gern.«
Annie zuckte mit den Schultern, grinste mir zu, verabschiedete sich mit einem Winken von Curtis und hüpfte hinaus auf den Gehweg, auf dem mehrere Passanten verstohlen auszumachen versuchten, wer sich da in einem Bentley mit getönten Scheiben durch den Mission District kutschieren ließ.
Meinen eigenen Wagen hatte ich einige Blocks weiter weg geparkt. Nachdem Curtis mich dort abgesetzt hatte, stieg ich ein, verriegelte wie immer die Türen von innen und steckte den Schlüssel in den Anlasser. Doch gerade als ich ihn herumdrehen wollte, machten sich wahrscheinlich durch den Champagner verursachte Kopfschmerzen bemerkbar. Meine gute Laune verflog schlagartig. Ich lehnte mich auf dem Fahrersitz zurück. Diese plötzlichen Stimmungsschwankungen erschöpften mich. Genug ist genug. Morgen beim Dinner erzähle ich Wes alles. Beim bloßen Gedanken daran begann ich zu zittern, als geriete irgendwo tief in mir ein bis zum Zerreißen gespanntes Seil in Schwingung. Wenn morgen der Tag war, an dem ich Wes alles erzählen würde, brauchte ich heute einen Drink. Ich zog den Schlüssel ab, stieg wieder aus und lief in der kühlen Abendluft zu der nächsten Bar, die ich kannte.
Von meinem Platz in der hintersten Ecke des 500 Club hatte ich die Eingangstür gut im Blick. Als ich Jake die Bar betreten sah, überkam mich ein Gefühl von Dankbarkeit. Es war schrecklich, so ganz allein vor einem Drink zu sitzen. Diese Würdelosigkeit sollte niemand ertragen müssen, schon gar nicht in einer Kaschemme wie dem 500 Club, auch wenn ich um die Anonymität der schäbigen Bar sehr froh war. Außerdem , rief ich mir in Erinnerung, treffe ich mich ja nur mit einem alten Freund auf einen Cocktail. Das ist nichts Verwerfliches.
Jake zwängte sich neben mich auf die Sitzbank und nahm einen kräftigen Schluck von dem Scotch, den ich für ihn bestellt hatte. Seine größte Stärke, dachte ich, war sein offenbar sehr flexibler Terminplan. Wenn er überhaupt Termine hatte. Jake erzählte immer mal wieder von einer Surfschule für benachteiligte Stadtkinder, die er angeblich gründen wollte, doch von gemeinsamen Freunden hatte ich gehört, dass er mehr Zeit mit Surfen verbrachte als mit dem Aufbau irgendeiner dauerhaften Struktur. Im Gegensatz zu Wes, der etwas aus seinem Leben machte, hatte Jake noch nie einen seiner vielen hochfliegenden Pläne verwirklicht. Aber so war er eben, und das musste man mögen, wenn man mit Jake befreundet war. Und was maßte ausgerechnet ich
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