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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Sportmannschaft, die zu einem neuartigen Spiel gerüstet ist, betraten die drei mit ihren Popcornpaketen in den Händen den Kinosaal und setzten sich auf ihre guten Plätze. Tiroler begann augenblicklich, mit seinen ungeschickten Fingern an der Tüte herumzureißen. Die Plastikhülle war zusammengeschweißt und wehrte sich nach Kräften. Erst als Tiroler in die Tüte hineinbiß, gab sie nach, der Inhalt quoll ihm mit trockenem Knistern entgegen, so daß Tiroler ihn nur mit Mühe aufhalten konnte. In seiner Not, wo er die eingefangenen Flocken hinstecken sollte, nahm er zunächst davon so viel wie möglich in den Mund, den Rest steckte er in die Jackentasche. Die Augen fest auf die Leinwand gerichtet, mahlten sich seine Kiefer durch das wie Herbstlaub raschelnde Popcorn, das seinen Mund ganz füllte, dessen er aber mit Konzentration Herr zu werden begann. Sowie sich Raum für neues Popcorn bot, formte er seine Finger zu einer pflückenden Haltung und senkte sie in seine Tüte. Wenn ihn die Vorgänge des Films gefangenhielten, erstarrte er für eine kleine Weile und öffnete den Mund, ohne weiter zu kauen. Die Hand aber, die schon neue Körner gepickt hatte, blieb während dessen in Pfötchenstellung vor seiner Brust auf halbem Wege zwischen Tüte und Mund hängen.
    Der Film wurde von einer Musik beherrscht, die seinen Protagonisten bisweilen in die Beine fuhr und sie zu einem klappernden Tanz wie auf einer heißen Herdplatte zwang. Stephan hielt vor Entsetzen den Atem an, als eine Sirene sich aus der Tiefe erhob, um eine längere symphonische Passage einzuleiten. Sie bestand im wesentlichen aus dem neckischen Zwiegespräch, das ein Saxophon mit hundert schweren Konzertflügeln führte. Der Rhythmus des Stücks entfaltete sich nur allmählich, er wurde künstlich zurückgehalten, aber in einer Weise, die auch dem musikalisch Ahnungslosen sagte, alles in dieser Musik steuere auf einen Tonsalat von unentwirrbarem Furioso zu, wie ein ortsunkundiger Schlauchbootfahrer, der noch kilometerweit von den Niagarafällen entfernt die wachsende Geschwindigkeit seines |247| Gefährts sorgenvoll betrachten wird. Tiroler gab sich dieser Entwicklung entzückt hin. Er bewegte stellenweise sogar den Kopf im Takt und pausierte häufiger mit dem Popcorn, dem er sich erst wieder zuwandte, als die Musik auf ihrem donnernden Höhepunkt angekommen war. Er war ein Kenner, interessierte sich nur für Entwicklungen, nicht für Ergebnisse, und sagte ungeniert in Florence’ Ohr: »Das macht er gut, nicht wahr?«
    Florence bezog diesen Kommentar auf die Dekorationen, die ihr in dieser Szene zum erstenmal zu gefallen begannen: der Tänzer, der einen durch die harte Trainingsarbeit etwas zu entwickelten Unterkörper hatte, bewegte sich durch eine pastellfarben hingetuschte Papierwelt mit stilisierten Pariser Motiven. Florence erinnerte diese Ausstattung an ein Restaurant in der Nähe der Park Avenue, in dem sie einmal nach Eröffnung der Dali-Ausstellung mit Tiroler und Willy gegessen hatte. Tiroler hatte wundervoll auf der Ausstellung gesprochen, die Leute waren beeindruckt und summten wie ein Bienenstock: Schade, daß er sich von der Malerei abgewandt hatte, das war solch eine stilvolle Szene.
    Tiroler war eben immer im Aufbruch, immer auf der Suche nach neuen Ufern, das kostete nun einmal auch Opfer, denn wer im richtigen Augenblick glänzen wollte, der mußte zum Beispiel vorher fleißig ins Kino gegangen sein und andere lästige, interessante Dinge getan haben. Die scharfsichtige, durch den Film nicht vollständig gefesselte Florence empfand die Hingabe, die Tiroler seiner Popcorntüte widmete, nicht als störend. Das Rascheln und Zappeln und Malmen der Zähne, die sich durch das spröde, luftgefüllte Material gruben, erweckten bei ihr eher den Eindruck von tätiger Teilnahme am Geschehen des Films, die Ungeduld des Connaisseurs war darin zu sehen. Es entstand Arbeitsatmosphäre, sie waren schließlich nicht zu ihrem Vergnügen hier.
    Die Musik schwoll an, die Bemühungen des Tänzers verdoppelten sich, er nahm unsichtbare Hindernisse, er streckte wie ein Eisläufer den Hintern heraus und breitete die Arme aus in der gemischten Absicht, die Welt zu umarmen und zugleich die Balance zu halten. Sein sieghaftes Strahlen verbreiterte sich unter |248| den schier unwahrscheinlichen Bemühungen seiner Step-Schritte zu immer haltloserer Verführungsbereitschaft. Die Kamera konterkarierte die letzten Versuche des Zuschauers, noch festzustellen, wo unten

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