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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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psychischen und physischen Ermüdung des Menschen nicht, |244| kündigte er beim Hinausgehen in einigen Sätzen das Thema an, das er demnächst mit ihr zu behandeln wünschte, nämlich die Photographie.
    Tiroler war ein glühender Verehrer aller Entwicklungen der Nachrichtentechnik, insbesondere aber der Photographie, die seiner Ansicht nach die Mentalität des Menschen vollkommen verändert hatte. Trotzdem war er nicht so plump, Florence mit seinen Thesen überfahren zu wollen. Er bevorzugte die Methode, den Appetit des Zuhörers mit einem poetischen Aperçu zu reizen, und so drehte er sich denn noch einmal um und sagte, indem er Florence’ Unterarm leicht berührte: »Wissen Sie eigentlich, daß die Photographie das vollkommenste Medium der Melancholie ist? Warum gehen wir beide nicht einfach einmal ins Kino? Ich weiß, Sie lieben es nicht, aber Sie sollten Ihre Erfahrungsskala nicht künstlich verkleinern wollen. Florence, Sie Mutige, Sie Neugierige, lassen Sie mich nicht im Stich.« Bei den letzten Worten hatte er ihr schon den Rücken gekehrt. Florence sah dem kleinen Mann hinterher und empfand, während sie sein Kopfwackeln und seinen tapsenden Gang beobachtete, eine Art Weichheit in ihrer Brust, die viel zu neu und viel zu ungewohnt war, um sie schon mit der festgelegten Bedeutung des Wortes Rührung zu bezeichnen. Tirolers Anregung war ein Novum in ihrer Beziehung, und sie wußte noch nicht genau, wie sie sich verhalten sollte, wobei allerdings bereits feststand, daß sie ihr auf jeden Fall nachkommen werde.
    Schließlich stand sie in Stephans Begleitung vor dem Tirolerschen Gartentor, während der Arzt sein großes, rotes Coupé aus der Garage holte. In beiden Häusern brannte Licht und verriet, daß Anni Tiroler und Willy Korn jeder für sich allein auf die Ausflügler warten würden. »Hallo, Stephan, das ist fein, daß du uns begleiten willst! Hast du auch keine Angst?« fragte Tiroler mit forcierter Heiterkeit. »Du halber Franzose! Heute abend werden wir sehen, wo dich in Paris der Schuh gedrückt hat! ›Ein Amerikaner in Paris‹ – haha! – ›Das Schauspiel sei die Schlinge ... ‹«
    Tiroler sah Florence, die das Zitat nicht kannte, bedeutungsvoll |245| an. »Ach, wenn das immer so einfach wäre«, seufzte er und tätschelte seinen Bluthund, der ihm aus dem Gartentor gefolgt war und lammfromm wirkte, als hätte er noch niemals in seinem verwöhnten Leben einen Dackel durchgebissen, während Stephan, der die Hände in den Hosentaschen verborgen hielt, bei seinem Anblick glaubte, daß ihm Blei in die Adern gegossen würde.
    Dr. Tirolers Ausgelassenheit steigerte sich während der Fahrt in die Stadt beständig. Er genoß es, zwischen Mutter und Sohn und zwei verschiedenen Sorten von Vertraulichkeiten hin und her zu schweifen. Er sprach allein, aber er litt nicht darunter, daß Florence ihm Antworten verweigerte und seltsam gedrückt erschien, denn er schrieb ihre Schweigsamkeit einer verständlichen Zurückhaltung ihrem Sohn gegenüber zu. Tiroler fuhr unkonzentriert und mußte mehrfach scharf bremsen. Seine Gedanken waren nicht auf der Straße, aber auch nicht bei seinen Worten. Er führte Florence ins Kino, er hatte zugleich denjenigen dabei und unter Aufsicht, der ihn mit Florence verband. Oh, sagte sich Tiroler in Hochstimmung, da sind natürlich mittlerweile auch noch andere, von dem jungen Mann ganz unabhängige Verbindungen entstanden, aber immerhin, immerhin! Er konnte von seinem bequemen weißen Ledersitz nur mit Mühe über das Lenkrad blicken. Die Lichter sausten an ihnen vorbei, und manche Autos hupten, weil ihnen Tiroler unvorhersehbar in die Quere gekommen war. Florence hielt sich krampfhaft an ihrer Handtasche fest. Aber sie ließ kein Wort der Klage über ihre Lippen. Willy hätte es wagen sollen, unkontrolliert Auto zu fahren, sie hätte ihm eine unvergeßliche Szene gemacht.
    Bei Tiroler dachte sie hingegen nur darüber nach, wie wunderbar es sich gefügt haben mußte, daß dieser Mann bei seiner Fahrweise immer noch am Leben war und Stephan helfen konnte, der teilnahmslos im Fond lehnte und nur gelegentlich, wenn ihm ein Auffahrunfall unvermeidlich erschien, ein »Eieiei« von sich gab.
    Tiroler eilte ins Kino, Mutter und Sohn voraus, er war perfekt und überreichte seinen Gästen mit den Eintrittskarten auch |246| noch eine riesige Tüte Popcorn. »Kein Kino ohne Popcorn«, sagte er mit gespielter Strenge, als Florence den Versuch machte, ihr Paket abzulehnen. Wie eine

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