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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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präsentierte und vielleicht erst vor kurzem aufgegeben worden war, denn es lag zwar überall dicker Staub, aber die Klappstuhlreihen waren fast ohne |242| Lücken, die rotschwarze Wandbespannung, die von goldenen Knöpfen an der Wand festgehalten wurde, war nur an einigen Stellen mürbe geworden und gerissen, der Vorhang vor der Leinwand fiel dicht, und man durfte glauben, daß gar nicht viel Vorbereitung dazu gehörte, hier wieder eine Eröffnungsvorstellung stattfinden zu lassen. Sogar die Luft roch noch nach Menschen, nach Zigaretten und süßem Puder, wie man glauben konnte, weil der Stoff der Klappstühle und der Wandbespannung diesen Geruch getreu aufbewahrt hatte.
    Meine Tante strich mit den Fingern über eine Stuhllehne und blies den Staub in einen Sonnenstrahl. Stephan setzte sich einfach in eine der Stuhlreihen. Meine Tante ging ein paar Schritte auf und ab, dann setzte sie sich neben ihn. Er sah sie nicht an, als ob sie etwas Selbstverständliches getan hätte, weil gleich der Film anfing. Sie saßen schweigend nebeneinander, wie ein Paar, das die schlecht besuchte Nachmittagsvorstellung eines Kinos zum unbeobachteten Rendezvous nutzt. Gleich mußten die Schritte der Verkäuferin von Bonbons und Schokolade zu hören sein, die ihnen mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchten würde. Stephan nahm sich vor, nach Salzmandeln zu fragen, weil er wußte, daß meine Tante sie Süßigkeiten vorzog. Wie häufig, wenn es zwischen zwei Menschen etwas Wichtiges zu besprechen gibt, hatten sie sich bei den seltenen Gelegenheiten ihres Alleinseins ausschließlich mit Nichtigkeiten aufgehalten.
    Stephan fühlte sich so wohl wie noch nie in einem Kino. Gewöhnlich sah er sich gar keine Filme an. Wenn es sich trotzdem nicht umgehen ließ, verfolgte er die geläufigen Dialoge, die griffig aufbereiteten Stoffe, die raffinierten Schnitte mit der verbitterten Miene des Magenkranken, der gegen besseres Wissen einen Diätfehler gemacht hat und nun auf das Eintreten der schrecklichen Folgen wartet. Eine wohlplazierte Pointe war wie ein Tiefschlag für ihn. Er weigerte sich im übrigen, der Handlung zu folgen, und begann die Frau, die ihn zu dem Kinobesuch gezwungen hatte, meist kurz bevor sie sich trennten, fortwährend mit gereiztem Flüstern über die Zusammenhänge zu befragen. Dabei ließ er sich nicht abweisen, etwa mit der Bemerkung: »Ich |243| erklär es dir später. Sei bitte jetzt ruhig und laß mich den Film ansehen.« Er hob dann vielmehr seine Stimme und bohrte weiter nach, bis die Umsitzenden empört protestierten und er für zehn langweilige Minuten verstummen mußte. Stephan hatte seinen Widerwillen gegen Filme möglicherweise von Florence geerbt, die ebenfalls das Kino verachtete, sich aber während einer Vorführung weniger gereizt als ihr Sohn benahm, sondern nur die Verständnislosigkeit zeigte, die sie auch annahm, wenn die italienische Putzfrau sie mit ihrem Kauderwelsch überschüttete und dabei mit einem Fragebogen vom Immigration Office in der Luft herumfuchtelte.
    Deshalb war es bemerkenswert, daß gerade sie Stephan zu seinem letzten Kinobesuch vor seiner Abreise nach Deutschland veranlaßt hatte, eine Unternehmung, die Stephan und allen Beteiligten in äußerst unangenehmer Erinnerung geblieben war, und das nicht wegen der beinahe tödlichen Heiterkeit des Films, zu dem die kleine Gesellschaft aufgebrochen war, als der Abend sich über das Villenareal senkte und den strengen Kolonialstil seiner Häuser rosa verzuckerte. Nein, allein sollte Stephan nicht ins Kino gehen, auch nicht, um nur seine Mutter zu begleiten, er war vielmehr ausersehen, das dritte Rad eines eigentlich zweirädrigen Wagens zu bilden, denn die Anregung, einen Film anzuschauen, war im Kern nicht von seiner Mutter, sondern von Dr. Henry Tiroler ausgegangen.
    Tiroler nahm jetzt regelmäßig die Gastfreundschaft seiner Nachbarin Florence zur Teezeit in Anspruch, wenn mit Willys Erscheinen erfahrungsgemäß noch nicht zu rechnen war und Florence andernfalls allein dagesessen hätte. Der Gesprächsstoff der beiden hatte sich systematisch erweitert. Von Stephan ausgehend, zu dem sie auch immer wieder zurückkehrten, gab Tiroler Florence immer mehr von seinen Erfahrungen und Überzeugungen preis, und eines Abends, als er ihr bis zur Erschöpfung sein gesamtes Material für einen Vortrag über die Rolle der Frau als Mutter und Hetäre ausgebreitet hatte, bis zu seiner eigenen Erschöpfung wohlgemerkt, denn Florence kannte das Phänomen der

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