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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Stück keinesfalls dafür durchgegangen wäre. Sie hätte dort eher wie die Frau gewirkt, mit der der Schauspieler seine eigene Ehe brach. Mutter und Sohn waren ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, die Macht der Bühne aber setzte durch, daß dieser Eindruck bei den Zuschauern verblaßte, die, nachdem sie es von oben herab gehört hatten, dem Sohn zwanzig seiner Lebensjahre abzogen. Er schien ohnehin ein schwieriger, wahrscheinlich düsterer Charakter zu sein, gewiß war der für den modernen Menschen empfindlichste Makel, älter auszusehen, als er war, nur einer aus einer Reihe von ähnlich peinlichen Eigenschaften.
    Im übrigen ließ sein Aussehen nichts zu wünschen übrig. Seine umschminkten Augen waren schwarz und stechend, sein dichtes und feines schwarzes Haar bildete eine dämonische Mütze, die auf dem Kopf ihr animalisches Eigenleben führte. Scharfe Falten um den schmallippigen Mund verrieten das cholerische Aufbegehren gegen eine ätzende Magenkrankheit, der Körper zeigte Spuren einer sportlichen Straffheit, die wohl nicht bei morgendlichen Ausritten im Bois de Boulogne, sondern am Punchingball einer muffigen Gymnastikhalle erworben worden war. Seine Hände wirkten überlebensgroß, grotesk, weißhäutig, von schwarzen Haaren bewachsen, die wie eine Schar Ameisen über den Handrücken in den Anzugsärmel krochen. In allem war er der vollendete körperliche Gegensatz zu der Frau, die seine Mutter spielte. Die Auspolsterungen, die ihre Schultern eckig erscheinen lassen sollten, waren nichts als die reinste Koketterie. Sie hüpften auf runden und abfallenden Schultern und betonten in komischem Gegensatz noch deren weibliche Form. Augen, Nase und der kleine Mund verteilten sich weit auseinanderstehend über das ganze Gesicht, hohe weiße Wangen gaben ihr ein papageienhaftes Aussehen. Ihre weißblonden Löckchen waren wie Stahlwolle, ihr Körper hatte die Nachgiebigkeit und Zähigkeit eines weichen Radiergummis. Obwohl sie keineswegs dünn war, konnte man sich nicht vorstellen, daß sie jemals etwas |289| aß. Sie lebte gewiß von Bonbons und Zigarettenrauch. Ihre Finger erinnerten an weiße Krebsschwänze, ihre Fingernägel waren ein Restchen hellroter Krebspanzer. Mit diesen Panzern konnte sie zwacken, sie teilte mit ihnen ein Stück Weißbrot voller Kraft, obwohl die Hände selbst schwach wirkten.
    Die dritte Schauspielerin war ihre Freundin. Stephan verstand nicht genau, wie weit die Freundschaft ging, er wollte auch niemandem, selbst auf dem Theater, etwas Böses nachsagen, und untermauerte seine Zweifel mit der Einsicht, daß er stellenweise fast nichts mitbekam.
    Die Sprache verwandelte sich im Munde dieser Schauspieler, manchmal kam es Stephan vor, daß es gar kein Französisch sei, was auf der Bühne gesprochen wurde. Das rauhe Idiom eines arabischen Landes lag als Vermutung viel näher. Vor allem die dritte Schauspielerin, die Freundin der Mutter, hatte eine kehlige, wegwerfende Art, ihre Sätze auszusprechen, die Stephan bekannt erschien. Er sah die Karussells und Schiffsschaukeln seiner Jugendjahre wieder vor sich, und er lauschte dem wölfischen Gebell, mit dem sich die Schausteller und ihre verwahrlosten Gehilfen verständigten. Stephan täuschte sich im übrigen, als seine Assoziation die Stimmen der französischen Schauspieler mit dem heiseren Volapük der Schiffsschaukelbremser verband: Gewiß hatte vor allem die dritte Schauspielerin eine belegte Stimme, und dann herrschte im Dialog auch eine virtuose Geschwindigkeit, die die Belanglosigkeit der einzelnen Sätze verschwinden ließ und für Stephan überhaupt ganz unverständlich machte. Im übrigen sprachen die Schauspieler ein akzentfreies Französisch, das auch bei strengem Maßstab nichts zu wünschen übrigließ – nein, es war etwas anderes, was Stephans Gedanken zu der Welt des fahrenden Volkes und zu seinen Stimmen gelenkt hatte.
    Als Kind hatten ihn die Körper dieser Gesellen geängstigt, wenn er ihre magere Sehnigkeit sah, dies abgestorbene, stumpfe Haar, die ungesunde Bräune, die schlechten Zähne und vor allem die Narben, die bewiesen, wie schonungslos die Umwelt mit diesen Körpern umgegangen war. Die Leiber der Schaukelbremser |290| waren nur auf der Erde, um von Pferden getreten, von Gewichten zerquetscht, von Messern zerstochen, von Stacheldrähten zerfetzt und von Nadeln abscheulich tätowiert zu werden. An diesen Körpern sollte offenbar bewiesen werden, wie viel mit einem Menschen gemacht werden kann, bis ihn ein

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