Das Bett
verborgen, die Lackschuhe enthielten geheime Waffen. Sie war die einzige, deren Schritte auf dem Bühnenboden hörbar wurden, nicht in Form eines dumpfen Halls, sondern als scharf akzentuierte kleine Explosion, als werfe sie bei jedem Schritt geschickt eine Knallerbse auf den Boden. Die Blonde trug ein Kleid aus gepunkteter, glitschiger Seide, das ihren Körper noch verlockender erscheinen ließ, die Schwarze hingegen übte sich in der Kunst der Tarnung, mit unbeholfenen Mitteln freilich, denn das hochgeknöpfte schwarze Kleid mit weißem Krägelchen sah an ihr geradezu lächerlich aus, wenn nicht ein Blick dieser Katze jede Erheiterung im Ansatz erstickt hätte. Stephan schenkte sich aber die genauere Charakterisierung der Schauspieler. Er war unsicher, ob meine Tante seine Beschreibung gern hören würde, und fürchtete vielleicht sogar noch einen Anfall postumer Eifersucht, wenn die Schilderung der beiden Frauen allzuviel Engagement verriet. Statt dessen versuchte er, ihr ein Bild dieses Stücks zu geben, oder von dem, was man als Höhepunkt des Stücks betrachten mußte, und was nach Stephans Einschätzung auf Erden seinesgleichen suchte.
Vorbereitung dazu war, daß der Sohn verrückt wurde, der zwar mit den beiden Frauen ganz offensichtlich ein entschieden seltsames Leben führte, aber bisher, nach dem Empfinden seiner Hüterinnen jedenfalls, noch niemals ein, wie es in der Sprache der Gerichtsmediziner heißt, »auffälliges Verhalten« an den Tag gelegt hatte. Das Leben schien einförmig, aber behaglich dahinzufließen in dem ländlichen Manoir, wenn man davon absieht, daß die beiden Damen in einer Verbindung standen, die Stephan während des ganzen Abends nicht eindeutig klären konnte. Fest stand nur, daß die Schwarze ihre Vorbehalte gegen |293| die Blonde hatte, aber trotzdem nicht das Feld räumte – weil sie nicht konnte, weil sie nicht wollte, das war ungewiß. Im übrigen kamen Schärfen in den harmonischsten Familien vor. Stephan brauchte sich nur an einen bestimmten Sommer mit Florence und Bernie auf einer Farm in Massachusetts zu erinnern, damit es ihm kalt den Rücken hinunterlief.
Die Schwarze mußte zweimal vom Tisch aufstehen und holen, was noch fehlte, Personal gab es wohl keins, und die Blonde dachte gar nicht daran, auch einmal zu laufen, sie und ihr Goldjunge ließen sich bedienen, obwohl es nach Stephans Meinung hätte umgekehrt sein müssen. Die Blonde war aufgekratzt, sie hatte etwas Lustiges erlebt: In der Nähe war ein Auto mit Städtern gegen einen dicken Baum gerast und in die Luft geflogen; die Blonde hatte solche Angst vor Gewitter; als sie den Knall hörte, war sie schreiend aus dem Haus gelaufen, und als sie sah, daß sie sich keine Sorgen machen mußte, hatte sie sich vor lauter Erleichterung erst mal hinsetzen müssen. Die Schwarze zischte: »Hysterische Ziege«, und die Blonde antwortete beleidigt: »Salz fehlt.«
Es wurde auffällig viel getrunken für ein Familienabendessen. Man war noch nicht beim Hauptgang angelangt, den die Schwarze jetzt mit ihren knallenden Absätzen hereinbrachte: ein riesiges blutiges Roastbeef. Der Wind begann um das Haus zu pfeifen und trieb Rauch aus dem Schornstein ins Zimmer. Plötzlich war schwaches Donnergrollen zu vernehmen. Die Blonde ließ Messer und Gabel fallen, faltete die Hände über der Brust und rief: »Jetzt kommt’s doch noch.«
Mit ihrem Ausruf ging ein Stöhnen durch den Theatersaal, dessen Ursache Stephan nicht kennen konnte, dessen Wirkung ihn dennoch ergriff. Die Habitués der Bühne waren mit den psychiatrischen Theorien der Autoren längst vertraut. Eine wichtige These von Monsieur de Lorde war, daß die gefährlichsten Geisteskrankheiten eines Anstoßes bedürften, um auszubrechen, und daß ein häufig beobachteter Anlaß ein aufziehendes Gewitter sei. Monsieur de Lorde gehörte der vorklassischen Schule der Psychiatrie an, die sich gelegentlich mit der Terminologie |294| der klassischen Psychiatrie tarnte. Bei ihm hatte der Wahnsinn noch nichts von seiner einzigartigen Würde, von seinem priesterlichen Amt eingebüßt. Die Erscheinung des Wahnsinns rückte in den Augen von Monsieur de Lorde die aus den Fugen gegangene Welt wieder in das rechte Lot. Psychiater, oder besser Irrenärzte, wie es bei Monsieur de Lorde noch zünftig hieß, waren weniger zur Heilung des Wahnsinns berufen als zu seinem Heroldtum, Magier, die seinem Ausbruch niemals hinderlich im Wege standen. Für sie schrieb der große Routinier seine
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