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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Silbe. Sie bat nicht um Fortsetzung, und sie zeigte auch keine Sorge vor möglicherweise noch kommenden Zumutungen. Ihre Unterhaltung lief längst auf zwei Gleisen: Zum einen erzählte Stephan sein Theatererlebnis, und meine Tante hörte willig zu, zum andern hatten sie sich gegenseitig in ihre Blicke versenkt, die von ganz anderem sprachen als von Vorgängen, die, so interessant sie sein mochten, doch nun schon mehr als zehn Jahre zurücklagen. Stephan wehrte sich nicht mehr gegen den Sog, der von den Augen meiner Tante ausging, aber er wußte noch nicht, was geschehen würde, wenn er aufhörte zu reden, und er fürchtete die Gewalt der Stille, die von ihnen beiden dann Handlungen verlangen würde. Stephan redete genaugenommen um sein Leben, und meine Tante, in Umkehrung der Rollen von Scheherazade und dem blutgierigen König, lauschte zwar der Erzählung, nahm die Furcht, die deren Fortgang förderte, aber ebenso wahr und genoß sie wahrscheinlich sogar. Wer weiß, ob nicht ganz tief verborgen, in einem Winkel der Seele, in dem niemals ein Lämpchen glüht, auch ein kleines Stück Verachtung in meiner Tante wuchs, wie sie empfindet, wer sich vollständig aufgegeben hat, wenn er einen anderen sieht, der sich strampelnd mit erlahmenden Kräften gegen das süße Opium der Hingabe zu wehren versucht.
    |303| Es war ein unglückliches Zusammentreffen, daß die Geschichte, die Stephan erzählte, jetzt erst ihr wirklich schockierendes Stadium erreichte. Wie leicht konnte der Eindruck entstehen, daß es seine Kraftlosigkeit war, die sich zu immer abscheulicheren Phantasien verkrampfte, weil sie spürte, wie ihr die Puste ausging, und weil sie sich vom Auswalzen tabuisierter Schrecknisse eine einschüchternde Wirkung auf die geheimnisvolle Zuhörerin versprach. In Wahrheit konnte Stephan jedoch nichts dafür, daß sich der Report, den er von seinem Theaterabend gab, nun einem an Ekelhaftem schwer zu überbietenden Höhepunkt näherte, denn er war schließlich nicht der Autor des Stücks, und er hätte selbst in seinen Träumen, die er, wie Dr. Tiroler ihm schonend beigebracht hatte, schließlich selbst inszenierte, nicht etwas Ähnliches zustande gebracht wie die Handlung, die sich Monsieur de Lorde zur Erheiterung des großstädtischen Publikums ausgedacht hatte.
    Hartnäckige Geister könnten immer noch darauf verweisen, daß Stephan aus der Vielzahl seiner Pariser Eindrücke ausgerechnet diesen wählte, um meiner Tante einen angenehmen Nachmittag zu bereiten. Stephan erinnerte sich aber erst beim Erzählen an den Fortgang der Handlung und war selbst überrascht, wie ihm solches Grauen hatte entgleiten können. Dieser zerstreute Nachgeschmack war nebenbei kein Zeichen seelischer Deformation, oder jedenfalls einer solchen, die er mit beinahe allen Besuchern des Stückes teilte.
    Allzu deutlich war beim Lesen der Kritiken anderntags zu spüren, wieviel Mühe es die Journalisten kostete, als einzige Besucher eine Art von Distanz zu der Aufführung zu beziehen. Nebenbei bezogen sich die kritischen Berichte niemals auf die eigentliche Qualität der Darstellung, auf die künstlerische Intensität der Inszenierung oder auf die literarische Kategorie des Stückes. Vielmehr versuchten die Kritiker, auf unbefangene Manier, die dem lauten Liedersingen der Kinder im dunklen Wald verwandt war, zu erörtern, ob der Handlungsablauf nun diesmal »zu weit gegangen« sei oder nicht. In falscher Abgebrühtheit verloren sie manches schnoddrige Wort über die kaum |304| glaublichen Vorkommnisse und entwickelten sich dadurch zu den eigentlichen Propagandisten des »Theaters des Schreckens«, dem sie, ohne selbst daran zu glauben, den Namen eines »Theaters des Lachens« gaben, denn das Lachen, das in diesem Theatersaal zu hören war, hatte den unkontrollierten und peinlichen Charakter des Gelächters, das Tieferschütterte bei Beerdigungen befällt.
    Monsieur de Lorde wirkte, als er nach der Pause den Zuschauerraum wieder betrat, frischer und gepflegter als in den Minuten vor Beginn der Aufführung, denn er hatte den Aufenthalt in der Garderobe der Maxa nicht nur dazu genutzt, den Star zu beruhigen, was bei seinem eigenen Nervenzustand ein absurdes Unterfangen war, sondern er hatte auch der Dame mit dem Flügelhut sein rosiges, schweißglänzendes Haupt hingehalten, um sich von ihr mit der Puderquaste abtupfen zu lassen, eine Prozedur, die auch den von kräftigem Bartwuchs gezeichneten Wangen zugute kam. Zuversicht leuchtete aus seinen Augen.

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