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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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himmlische Krachen mit ganzer Seele zu feiern. Die Ängstlichkeit ihrer älteren Schwester ließ sie so recht die eigene Furchtlosigkeit fühlen, die ihr die Sehnsucht schenkte, ihr wildes und verzweifeltes Herz im Furor der Elemente gesundzubaden. Im Nachbarhaus klappte ein offengelassenes Fenster immer wieder auf und zu, ein dürftiger Ersatz zweifellos für den Einsturz der Häuser, das Versinken ganzer Straßenzüge, Überflutungen und Flächenbrände, aber dies enervierende Klappen war doch ein Anfang, ein kleines Zeichen für den großen Tag, an dem an den freundlichen kleinen Villen und Mandelbäumchen ganz anders würde gerüttelt werden. Meine Tante wußte, daß meine Mutter, die beständig davon sprach, daß man die Nachbarn telephonisch von ihrem klappenden Fenster unterrichten müsse, schon nicht wagen würde, den Telephonhörer aufzuheben, aus Furcht, daß ihr ein Blitz aus der Hörmuschel entgegenschoß, nichts also imstande wäre, die kleine Apokalypse zu stören. Nach jedem dieser Sommerstürme, die sie mit uns zusammen erlebt hatte, erhob sie sich erfrischt aus dem Sessel, als habe sie ihr Gesicht und ihren Körper den Regenfluten entgegengestreckt und sei in ihnen neu geboren worden; ihre Stimmung verbesserte sich für Stunden, sie lächelte und summte eine Melodie und fühlte versonnen die heitere Rohheit derer, die im Chaos eine trübe Vergangenheit haben untergehen sehen und nun nur noch von blanker Gegenwart umgeben sind.
    |297| Der Gesellschaft am Abendessentisch im einsamen Manoir standen tröstliche Perspektiven nach den Verwirrungen des Gewitters allerdings nicht bevor. Während die Blonde noch fahrige Gesten machte, von denen eine, die Stirn und Brust in einer verhuschten Kreisbewegung berührte, wohl ein Kreuzzeichen sein sollte, hatte sich der Sohn erhoben, um patriarchalischen Pflichten zu genügen und das Fleisch zu schneiden. Der Ahnungsloseste konnte erkennen, wie vermessen es war, dies Geschäft einem Mann wie ihm beim Ausbruch des Gewitters zu überlassen. Selten gab es ein Roastbeef, das, sogar auf die weiteren Distanzen des Theatersaals berechnet, so sehr wie ein Stück lebenden Fleisches gewirkt hätte. Bei allem Verständnis für die Sitte, ein Roastbeef im Kern noch blutig zu lassen, war diese Zubereitungsart hier an ihre erträgliche Grenze geführt worden. Das Roastbeef troff von Blut und Saft, als der Sohn die zweizinkige Tranchiergabel hineinstieß, und spätestens hier hätten die beiden Frauen mißtrauisch werden müssen, denn der Ausdruck, mit dem er die langen Zinken betrachtete, indem er sie sich vor Augen führte, war furchterregend. Hier prüfte nicht jemand eine Waffe, hier entdeckte erst jemand in der eigentümlichen Beschaffenheit eines Gegenstandes seine einzigartige Eignung zur Waffe, ein geistiger Augenblick, der der Erleuchtung der Neandertaler nahekam, als sie auf einmal verstanden, daß man mit einem spitzen Stein dem Nachbarn die Hirnschale zertrümmern kann. Aber die Blonde und die Schwarze steckten bis über beide Ohren in ihrem närrischen Kleinkrieg: Die Blonde zeterte bei jedem Donnerschlag vor sich hin, die Schwarze fand ein sadistisches Vergnügen darin, sie in ihren Ängsten zu bestärken, indem sie plötzlich mit tonloser Stimme erklärte, sie erinnere sich mit Sicherheit, daß man vergessen habe, das Dach mit einem Blitzableiter auszurüsten. Das wollte die Blonde nicht wahrhaben. Sie beschuldigte ihre Freundin der Lüge, brach dann zusammen und warf ihr nunmehr vor, die Installation dieser Einrichtung tückisch verhindert zu haben, denn ihr könne es ja egal sein, sie besitze ja ohnehin nur das, was sie auf dem Leibe trage, was sie sich obendrein von ihr, der Blonden, auch noch habe schenken |298| lassen, und da sehe man freilich ungerührt zu, wie ein großer Vermögenswert in Flammen aufgehe. Die Schwarze schwieg boshaft, sie ließ die Blonde auflaufen und gönnte ihr keinen kleinen Entlastungszank, sondern polierte sich, obwohl sie bei Tisch saß, die Fingernägel, was Stephan sehr erstaunte, weil er bereits eine geheime Bewunderung für die Schwarze hegte und ihr eine bessere Rasse als der Blonden zuschrieb. Für das Publikum hatte das läppische Betragen der Damen eine ähnlich nervenaufpeitschende Wirkung, wie sie das beginnende Gewitter in der labilen Blonden auslöste, denn während die Frauen sich miteinander beschäftigten, war in dem Sohn eine Veränderung vor sich gegangen, die dem Publikum den Atem stocken ließ. Keine Sekunde

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