Das Bett
seine volle weiße Hand schwer auf dem nackten Oberschenkel der Blonden ruhen ließ, die den Rock hochgezogen hatte und mit gespreizten Beinen vor ihm saß. Die Behandlung tat ihr ersichtlich gut. Sie vergaß die Schmerzen, obwohl sie die lange Spritze noch nicht bekommen hatte, die auf dem Eßtisch lag, und jetzt mußte sie sogar lachen, laut und lang, in der Koloratur der Flügelhutfrau nicht unähnlich. Zu intensiverer Pflege legte der Arzt ihr nun auch noch die zweite Hand auf den allerdings unverwundeten Schenkel und strich mit beiden Händen langsam vom Knie nach oben, von oben zum Knie zurück, und das gefiel der Blonden noch viel besser. Der knurrende Sohn versuchte einen Aufstand. Er zerrte an seiner Jacke und fiel um, sein Kopf knallte auf den Bühnenboden, und nun war die Heiterkeit der Blonden gar nicht mehr zu bremsen, und es war gut, daß sie nicht im selben Augenblick das Gesicht der Schwarzen sehen konnte, die hinter ihr den Raum betrat und das Bild, das sich ihr bot, mit einem Blick erfaßte.
|307| Stephan hatte zu diesem Zeitpunkt jeden Abstand zu dem, was auf der Bühne geschah, verloren. Er sprach jetzt auch in der Erinnerung nicht mehr über Schauspieler, die allabendlich dasselbe groteske Stück exekutieren, sondern über Personen der Zeitgeschichte, oder vielmehr sogar seiner eigenen Geschichte. Was er bei der Aufführung nicht verstanden hatte, regte ihn zu Spekulationen an, wie uns ein Brief der Frau, in die wir verliebt sind, an den Stellen, an denen sie zu faul oder zu unbeholfen war, um sich klar auszudrücken, tausend Rätsel aufgibt.
Es dauerte ziemlich lange, bis Stephan die Möglichkeit erwog, die Hände des Arztes auf den Schenkeln der Blonden könnten eine andere Bedeutung haben als ärztliche Pflege und Sorge. Sein Bild des Arztes verbot ihm zunächst, sich den Bühnenriesen als routinierten Schürzenjäger vorzustellen, dergleichen kleine Schwächen waren doch den normalen Sterblichen vorbehalten und nicht solch einem Denker. Stephan kannte weder den kranken Arzt noch den verliebten Arzt, der Onkel Doktor war eine Spielart des Weihnachtsmanns, alterslos und geschlechtslos wie jener, und dies Bild wurde später nur noch vom Typus des berühmten Forschers ergänzt, der mit weißem Schnurrbart gereizt von seinem Mikroskop aufblickt, weil er durch eine Lappalie, etwa die Nachricht von der Verleihung des Nobelpreises, bei der Arbeit gestört wird. Es schadete dem Arzt in der Rue Chaptal bei Stephan, daß er sich plötzlich sagte: »Ei, der macht des ja grad so wie ich.« Er konnte den heilenden Mann danach nicht mehr so recht ernst nehmen, und er schilderte auch meiner Tante seinen Eindruck unverblümt: »Der war ein linker Vogel, der hat die Lage von der Frau richtig ausgenutzt!«
Diesen Satz sagte er mit vor Entrüstung bebender Stimme, doppelt bemerkenswert deshalb im übrigen, weil er selbst sich nun schon eine ganze Zeitlang überlegte, wie er es anstellen würde, meiner Tante ebenfalls den Rock hochzuschieben und seine Hände auf ihren Schenkel zu legen. Sein Instinkt, der dies Ziel nach wie vor im Auge behielt, warnte ihn nicht im geringsten davor, meine Tante mit einem solchen Verlauf der Geschichte |308| etwa erschrecken zu können und so die Stimmung für einen Vorstoß zu ruinieren. Dieser Instinkt behielt auch recht, denn die Erwähnung gewisser Gegenstände in der Unterhaltung kann weit gewichtiger sein als die moralische Wertung, die ihnen auf der Oberfläche des Gesprächs beigegeben wird: Eine Grenze ist überschritten, die Phantasie ist in eine bestimmte Richtung gelenkt und schleift die schwache Kraft adjektivischer Bewertung in ihrem unaufhaltsamen Sturmlauf einfach hinter sich her. Darüber hinaus hörte meine Tante seiner Geschichte schon längst nicht mehr in der Form zu, daß sie an dem Berichteten selbst ihr Interesse nahm, sondern nur noch, indem sie einerseits das Vergnügen genoß, Stephan sprechen zu sehen, und andererseits gespannt den Punkt erwartete, an dem ihm nichts mehr einfallen würde. Und je wilder die Geschichte wurde, desto näher mußte sie auch ihrem Ende rücken, wie sich bei einem Wolkenbruch nach der heftigsten Ergießung oft augenblicklich der blaue Himmel wieder zeigt.
Stephan roch in diesem Stadium der Erzählung zum erstenmal den Atem meiner Tante, denn ihre Köpfe waren sich immer näher gekommen, und meine Tante atmete mit halbgeöffnetem Mund. Stephan stutzte, als der Hauch ihres Atems ihn streifte. Er war nicht nur makellos rein,
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