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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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gehemmten Schlafbedürfnisses war, und viele andere Zeichen, die verrieten, daß Willy nicht auf ureigenen Wunsch an den Ort gekommen war, an dem ihn solche Dürre erwartete.
    »Na großartig«, rief Mr. Fraudendorff, als er zu der Gruppe kam, die sich um Dr. Tiroler gebildet hatte und die im wesentlichen aus Anni Tiroler, Florence und Willy bestand. »Jetzt bin ich endlich bei der Crème de la crème. Oh, Henry, Sie überraschen uns immer wieder aufs neue. Ich sage Ihnen, hier gibt es ein paar Kunsthistoriker im Saal, die um ihren Job zittern. Ich sage immer wieder: Wenn ihr etwas erfahren wollt, dann wendet euch nicht an die Profis, von daher kommt doch nichts mehr.« Dies war einer der wichtigsten Sätze Fraudendorffs, doppelt kostbar vor allem, weil auch sein Gegenteil stets gut anwendbar war, |347| wie etwa anläßlich des letzten Werks aus der Feder Meyer-Schapiros, von dem Fraudendorff laut sagte: »Die Pranke des Löwen, das ist professionell. Nur ein Profi kann diese immer kompliziertere Landschaft überblicken.« Tiroler spürte übrigens die Ambivalenz des Kompliments und wandte sich Florence zu, um ihr seine Empfindung zu erklären, weil er wußte, wie empfänglich ihre Nervosität für drohende Paradoxa geworden war. Er hätte dem Direktor keinen größeren Gefallen tun können. Fraudendorff nahm den übriggebliebenen Willy ins Visier, während Anni sorgenvoll in das Ohr von Mrs. Meyrish raunte, und sagte: »Sie sind ein seltener, aber mir wohlbekannter Gast. Es ist nicht leicht, jemanden wie Sie mit allem und jedem aus seinem Heim zu locken. Ein Freund von Henry Tiroler – wissen Sie, wie wenige es davon gibt?«
    »Och Gott«, sagte Willy, der unbekümmert in sein heimatliches Idiom verfiel, als er Fraudendorffs Wienerisch vernommen hatte, »wir kennen den Herrn Tiroler ja schon lang. Aber wissen Sie, ich bin ja selber Sammler.« Fraudendorffs Staunen kannte keine Grenzen: »Und das weiß man nicht, das halten Sie alles einfach so in Ihren Safes verborgen?«
    »No, so auch wieder net«, antwortete Willy. »Wir sind ja sehr französisch orientiert, anders als der Herr Tiroler, der macht sich, glaub’ ich, net soviel aus meinen Sachen. Wir sind ja früher immer in Frankreich gewesen, mein Sohn war ewig in Paris, das ist ein halber Franzose.«
    »Hören Sie auf«, rief Fraudendorff, als füge ihm Willy furchtbare Schmerzen zu, »mein Gott, Paris, Paris! Sie haben übrigens völlig recht, das steht mir alles auch unendlich viel näher. Was nicht heißen soll, daß wir es heute morgen hier nicht hochinteressant gehabt hätten.«
    Willy gab eilig seine Zustimmung zu verstehen. Er konnte eben zu- und abgeben, wenn eine Sache das wert war. Mr. Fraudendorff fuhr fort: »Glauben Sie mir, von all den Leuten, die hier versammelt sind und die mich genau zu kennen glauben, ist keiner, außer vielleicht Ihnen, der versteht, wie mir hier bei allem meinem Erfolg Europa fehlt! Sicher, sicher, es gibt nichts Wichtigeres |348| als New York auf der Welt, aber wer einmal ...« Hier plante Mr. Fraudendorff zunächst die Reize einer Christmette in einer winzigen Dorfkirche in den tiefverschneiten Tiroler Bergen zu schildern. Da es ihm stets auf den Genuß der Übereinstimmung mit seinem Gegenüber ankam, hielt er inne, um sich schnell etwas anderes auszudenken, denn er fürchtete zu Recht, mit der Tiroler Christmette kein gemeinsames Erlebnis zu beschwören. Er wich schließlich auf ein Picknick mit Rotwein und Käse in der Ile-de-France aus. Das hatten sie nun allerdings beide niemals veranstaltet, weswegen der abergläubische Mr. Fraudendorff seinen Bericht auch ein wenig nachdenklicher gestaltete, aber Willy dankte ihm die Mühe und rief: »Ei, natürlich, ›Das Frühstück im Grünen‹, Sie Schlawiner«, was Mr. Fraudendorff zwar nicht verstand, weil er die nackte Frau, auf die Korn anspielte, vergessen hatte, was ihn aber dennoch mit Zufriedenheit erfüllte, denn das erste Auftauchen plumper Vertraulichkeiten war im allgemeinen ein gutes Zeichen für den Fortgang der Gespräche mit dem prospektiven Spender.
    Willy atmete leichter in der zunächst so ungewohnten Umgebung. Er war geradezu mild gegen Dr. Tiroler gestimmt, der den Aufenthalt in dieser schwierigen Region ermöglicht hatte, und er begann sogar seine Einstellung zu dem Arzt einer vorsichtigen Revision zu unterziehen, die ihm um so leichter wurde, als er glaubte, aus dem Ton Mr. Fraudendorffs eine leichte Ironie herauslesen zu dürfen. Überhaupt schien ihm

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