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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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jetzt nicht und auch später nie mehr, und ich lasse Sie auch nicht |365| allein, denn ich liebe Sie.« Florence hielt diese Winkelzüge für ausgeschlossen, wie hätte sie auch annehmen können, daß der Mann, dessen Führerschaft sie sich mit ganzer Seele anvertraute, sich längst als ihr Opfer betrachtete. Sie hörte zu, sie bemühte sich, nicht zu widersprechen, sondern zu verstehen, eine fruchtlose Bemühung, solange Tiroler ihr dazu mit Eifer seine rabulistischen Hindernisse in den Weg legte.
    In der dunklen Nacht seiner Motive wurde eine neue Wirkung geboren: Tiroler erst führte Florence ihrem Sohn wie eine Braut zu. So wenig sie noch an die gemeinsame Reise in die Schweiz glaubte, und so herzlich sie Tiroler gegenüber daran festhielt, so sehr befreundete sie sich mit dem Gedanken, Stephan als das Vermächtnis ihres sterbenden Freundes entgegenzunehmen. Immer unwahrscheinlicher erschien ihr der Traum, den sie kurz vor Tirolers Geburtstag gehabt hatte und der ihr deshalb bemerkenswert erschienen war, weil er die Stimmung des wirklich Erlebten besessen hatte.
    Sie saß bei Ines Wafelaerts im Wintergarten beim Tee, und Ines stimmte, wie sie es oft getan hatte, wenn der Mond abnahm und Neumond bevorstand, ihr Klagelied über ihre Kinderlosigkeit an. Im Traum kam sogar die Szene vor, die sich kurz vor der Abreise der Korns nach Amerika ereignet hatte, als Ines Florence in ihr Schlafzimmer führte, eine Kommodenschublade herauszog und anklagend auf ein buntes Sammelsurium von Medikamenten wies, die angeblich günstigen Einfluß auf ihre Fertilität nehmen sollten.
    »Ach, jammere nicht«, antwortete die träumende Florence, »ich habe auch kein Kind von ihm und lebe noch.«
    Sicher hätte der sterbende Tiroler mit Vergnügen diesen Traum seziert, aber es entsprach nicht ihrem Comment, daß Florence wie eine Patientin Träume erzählte, sie war vielmehr Adeptin und durfte die Vorgänge in den Seelen von anderer, höherer Warte aus betrachten. Nur von der letzten Alchimie der Schmerzen hielt er sie fern, obwohl sie die wichtigste Erfahrung war, die er ihr hätte vermitteln können: wie man einen Schmerz durch einen Gegenschmerz bekämpft, wie die Seele, die einem |366| einzigen Schmerz nicht gewachsen gewesen wäre, zwei oder drei ebenso starke auf einmal ertragen kann, ohne unterzugehen, und wie es gelingt, die verzweifelte Unruhe über eine offene Frage mit der Gewißheit über einen Sachverhalt zu beschwichtigen, der die offene Frage in keinem Punkt auch nur im geringsten berührt. Daß Tiroler wissen wollte, ob Florence ihn liebe, daß er aber auch die Gewißheit hingenommen hätte, daß sie durch die Liebe zu ihrem Sohn ganz okkupiert sei und daß er diese Gewißheiten benötigte, um ohne Angst sterben zu können, war die letzte, vielleicht aber auch die erste Erfahrung seines Lebens, das so reich an Worten und Reflexionen gewesen war.
    Florence ließ sich schließlich von seinem Drängen anstecken. Seine Sorge um Stephans Befinden wurde die ihre. Wenn sie ihm erzählte, wie häufig sie schon wieder versucht habe, Stephan in Frankfurt zu erreichen, ohne dabei Erfolg zu haben, vermochte sie kaum mehr, ihre Unruhe zu beherrschen.
    An dem Tag, an dem Florence glaubte, daß es Tiroler bessergehe, weil er sie im Sessel sitzend empfing und in ihrer Gegenwart eine blaue Marzipanrosenknospe aß, faßte sie endlich allen Mut zusammen und versprach ihm, zu Stephan zu reisen und ihn nach Amerika zurückzubringen. Sie sagte ihm auch, daß sie bald zurück zu sein hoffe und daß sie stets zu erreichen sein werde. Sie wandte sich an der Tür noch einmal um und winkte Tiroler zu, der von einer heiteren Sonne beschienen wurde. »Sie sehen, ich tue alles, was Sie von mir verlangen; jetzt müssen Sie auch tapfer sein und schnell gesund werden, denn ich freue mich schon sehr auf die Schweiz.« Das waren ihre Abschiedsworte, und sie sprach sie in einer Weise, die wohl niemand an ihr bisher hatte bemerken dürfen: Ihr Lächeln war sanft, anspielungsreich, keinesfalls kokett, das war immer noch nicht vorstellbar, aber vielleicht anmutig, um die Wirkung zu beschreiben, die es jedenfalls bei Tiroler erzielte.
    Florence hob den Telephonhörer ab. Wie sie erwartet hatte, war Henry Tiroler selbst am Apparat. Es rauschte in der Leitung, und seine Stimme klang durch die technische Störung |367| noch schwächer. »Alles ist wunderbar gelaufen, trotz gewisser Schwierigkeiten«, rief Florence. »Ich werde dir alles erzählen, wenn wir

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