Das Bett
zurück sind.«
Tiroler antwortete: »Ich werde übermorgen operiert. Man macht mir keine große Hoffnung. Die Leute sind sehr sachlich hier. Florence, wir müssen uns verabschieden.«
»Was für ein Unsinn«, rief Florence, heftiger, als sie es wünschte, denn sie wollte Henry nicht aufregen. »Es wird alles gutgehen. Und außerdem bin ich übermorgen spätestens zurück in New York. Ich habe alles in deinem Sinne geregelt. Du mußt auch Stephan noch vor deiner Operation sehen. Wir sehen uns noch, glaube mir.«
Tiroler strengte seine Stimme an, um deutlicher gehört zu werden. »Florence«, rief er, »wenn wir uns noch sehen ...« In diesem Augenblick nahm das Rauschen überhand, kurz danach war die Leitung tot. Jede andere Frau hätte versucht, eine neue Verbindung nach New York zu bekommen. Florence aber fand, daß bei einer Verlängerung des Gesprächs gar nichts herauskommen konnte. Statt dessen begann sie mit Energie, alles Erforderliche für ihre Abreise zu organisieren. Als erstes bestellte sie zwei Karten der 1. Klasse für das nächste Flugzeug von Frankfurt nach New York.
|368| II.
Stephan war viel bescheidener, als er wirkte. Die Beiläufigkeit seiner Manieren hatte auf viele Leute einen geradezu verstörenden Effekt. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß die Mühelosigkeit seiner Formen und Bewegungen anders als durch eine Sicherheit zustande komme, die man getrost als unverschämt bezeichnen durfte, weil es nichts gab, das ihn dazu wirklich berechtigt hätte. Was war er denn schließlich? Ein Söhnchen, ein Tagedieb, ein Mensch ohne eigentliche Vorlieben, ohne Eifer, ohne Schmerzen, ohne Leidenschaft. Er hatte nichts Vernünftiges gelernt, er besaß kein Ziel, und sein Herz war vermutlich aus einer zu zähen Masse gebildet, um irgendwann zu brechen. Es war erstaunlich, daß die Erde in einem Jahrhundert der Katastrophen und der apokalyptischen Schrecken ein solches Menschenwesen noch auf ihrer Kruste duldete, das keine der Millionen Tränen, die in verzweifeltem Unglück vergossen wurden, mitgeweint hatte, einen Menschen, der sich um das Unrecht überall auch dann nicht scherte, wenn er selbst davon gestreift wurde, und der zu allem nicht einmal zur Kenntnis nahm, daß es allein die Verkettung unverdient glücklicher Zufälle war, die ihn davor behütete, ein Opfer der großen Verfolgung zu werden.
Stephan hielt sich schon in Narbonne auf, als er Herrn Dr. Frey kennenlernte, der wie er aus Frankfurt stammte, allerdings auf ganz anderen Wegen als Stephan nach Südfrankreich gelangt war. Es war selbstverständlich nicht das erste Mal, daß er in diesen Jahren einem Mann begegnete, dessen Schicksal dem gehetzten |369| Hasen glich, worüber nicht hinwegtäuschen konnte, daß Herr Dr. Frey ganz ruhig auf seinem Kaffeehausstuhl Stephan gegenübersaß. Aber es war doch nie so deutlich geworden, wie befremdlich ihm ein solches Schicksal vorkam, wie tief er sich von einem Menschen wie Dr. Frey geschieden fühlte.
Die Wochen in Narbonne waren für Stephan eine Zeit, die aus dem historischen Ablauf seines Lebens herausfiel, es war ihm, als halte sein Leben den Atem an. Äußerlich trug dazu gewiß der seltsame diplomatische Schwebezustand bei, in dem sich sein neues Vaterland Amerika zu der chimärischen Regierung des Marschalls Pétain befand. Nachdem Deutschland schon lange die Fiktion eines autonomen Vichy-Frankreich verlassen hatte und auch das noch nicht von deutschen Soldaten besetzte Gebiet in Besitz nahm, residierte Stephans Dienstherr, der Admiral Leahy, immer noch als amerikanischer Botschafter in Vichy und versuchte, seinem alten Kriegskameraden Pétain ein letztes Stückchen souveräner Reputation zu erhalten. Jeder wußte, daß es so nicht lange weitergehen würde. Stephan hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich in Vichy abzumelden, als er seinen Urlaub im Süden antrat. Er besaß freilich Gründe für die Vermutung, daß er nicht vermißt würde, denn es war ihm von Anfang an nicht recht klargeworden, wie er die ihm über seine Gutmann-Beziehungen eingeräumte kleine Position eigentlich sinnvoll hätte ausfüllen können. Der größte Reiz seiner Anstellung bestand in seinen Diplomatenpaß, ein Reiz, der durch die zahllosen Schwierigkeiten, mit denen das Leben eines normalen Bürgers in der Zeit der Okkupation belastet wurde, ins Zauberische stieg. Salutierende Kontrollen, nach oben schwebende Schranken, an Lederriemen zurückgerissene Schäferhunde säumten Stephans Weg auf seinen
Weitere Kostenlose Bücher