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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Gegenspieler Hitlers erhob, dem das Schicksal der leidenden Menge gleichgültig ist, weil er seinen existentiellen Kampf kämpft, aber er fühlte sich so schlecht bei seinem Schweigen, daß er seinen Mund in der Art der Säuglinge verzog, denen zur Unzeit ein Löffel Brei |372| aufgedrängt wird, und Tiroler, der ihn beständig im Auge behalten hatte, registrierte diese Fratze mit Behagen, denn Stephan verwöhnte ihn so selten mit Reaktionen auf seine Mühen, daß Dr. Tirolers Ansprüche in dieser Beziehung gesunken waren. Der Arzt verhielt sich wie ein verschmähter Liebhaber, dem schließlich jedes Zucken der Augenbrauen reichliche Nahrung für seine sich sonst nur im Kreis bewegenden Phantasien ist, denn die Träume gedeihen am üppigsten im Status der Unterernährung durch Tatsachen, und die Liebe steht insoweit unter dem gleichen physikalischen Gesetz, als auch sie nichts anderes ist als ein großer Traum.
    Dabei hätte Tiroler stolz darüber sein dürfen, wieviel er bei seinem Gegenüber in Bewegung gebracht hatte. »Hitler mein Gegner«, dachte Stephan in einer fast ironischen Laune, weil seine Scham in dem Augenblick, da sie ihn zu verwirren begann, stets in Galgenhumor umschlug, »da war ja noch eher Dr. Frey ein Held als ich. Der närrische Kerl. Der Mäuserich. Der Schammes.«
    Stephans Erinnerung erheiterte ihn und entfernte seine trübe Stimmung. Seine weit zurückliegenden Erlebnisse erschienen ihm nun wieder, wie sie sich zugetragen hatten, und nicht mehr im Licht des schlechten Gewissens des Nachhinein.
    Nichts war für Stephan während der Dauer eines Liebesverhältnisses mit solch einem kostbaren Genuß verbunden wie der Augenblick, wenn er sich aus den morgendlichen Umarmungen löste, die Badezimmertür hinter sich schloß, das große Werk der Restauration mit Pedanterie vollendete, frisch und duftend noch einmal zu seiner bettwarmen Geliebten hinüber ins Schlafzimmer ging, um sich von ihrem verschlafenen Maulen die Ohrmuschel kitzeln zu lassen, und dann endlich ins Freie trat, von dort in ein nahe dem Hotel gelegenes Kaffeehaus, um sich in der friedenspendenden Gewißheit niederzulassen, nun fast zwei Stunden zu haben, in denen er sich ausschließlich mit Zigaretten, ziellosen Phantasien und schweifenden Beobachtungen befassen durfte. In seinem Ohr klang noch das Rauschen des Badewassers, denn er unterließ es niemals, bevor er seine Freundin verließ, ihr noch eine Badewanne einzulassen, eine Handlung, die nicht nur |373| ritterlich gemeint war, sondern Stephan auch eine kleine Spanne der Ruhe garantieren sollte. Denn er hatte die Erfahrung gemacht, daß eine Frau, die er glücklich dazu gebracht hatte, sich in die Badewanne zu setzen, das Badezimmer nicht so bald wieder verließ, als ob eine höhere Gewalt sie festhielte, gegen die jede rationale Gegenwehr scheiterte, eine Urerinnerung an die Abstammung des Lebens aus dem Wasser wahrscheinlich, von der Stephan manches Wissenswerte aus einem alten Heft der ›National Geographic‹ entnommen hatte und die er später gemeinsam mit meiner Tante auf einer in optimistischem Hellblau strahlenden Lehrtafel im Senckenberg-Museum studierte, ohne sich im tiefsten davon überzeugen zu lassen. Denn er wenigstens stammte nicht aus dem Wasser, sondern war vermutlich durch ein dem Urknall verwandtes Ereignis entstanden. Für die Erklärung der Liebe einer Frau zum Badezimmer war ihm die Evolutionstheorie dennoch willkommen, denn er hätte sich sonst womöglich auf weit mystischere Pfade begeben müssen, wonach er kein Verlangen trug.
    Er hatte überhaupt kein Verlangen an einem solchen Vormittag, der ihm vielleicht noch kostbarer erschienen wäre, wenn er begriffen hätte, daß in ihm die einzigen Augenblicke des Glücks lagen, die ihm in seinem Leben beschieden waren; eine hypothetische Vermutung allerdings, denn dies Glück bestand ja gerade im ereignis- und bewußtlosen Verstreichen der Zeit, ein Glück, das nicht zum Erinnern, sondern nur zum Erleben da war und das mit den köstlichsten und erlesensten kulinarischen Delikatessen gemeinsam hatte, daß es beinahe nach nichts schmeckte.
    Als Stephan Dr. Frey kennenlernte, atmete er gerade dieses Glück in Gestalt eines provenzalischen Sommermorgens ein, und es bedurfte der bemerkenswerten Hartnäckigkeit von Frey, Stephan in dieser Übung zu unterbrechen und damit ihre Bekanntschaft überhaupt einzuleiten. Stephan war in einer solchen Stimmung eigentlich nur für Fragen des Kellners empfänglich, die sich

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