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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Ausmaß, das sie glauben ließ, sie habe, was sich ihr ruheloser Geist aus den mikroskopischen Realitätsbröcklein rekonstruierte, in seiner ganzen erstickenden Fülle selbst durchlebt und erfahren. Aimée verband eine grundsätzlich nüchterne Weltkenntnis mit einer überfruchtbaren Phantasie. Sie wäre durchaus imstande gewesen, Allgemeingültiges über das Wesen der Künstler aus einer nur halbstündigen Begegnung mit Charles Bonnetti zu saugen. Aber das hatte sie in diesem Fall nicht getan, weil ihre Aufmerksamkeit abgelenkt war, und zwar schon seit sie sich zu Bonnetti auf den Weg gemacht hatte.
    Seine Adresse war ihr eingefallen, als ihre Ressourcen in Paris sämtlich erschöpft waren und ihre Lage ohne richtigen Paß ausweglos wurde. Sie erinnerte sich, daß Ines von Bonnetti gesprochen hatte, und zwar im Zusammenhang mit einem Wandteppich, den sie vor Jahren bei ihm im Atelier gekauft haben wollte. Ines schien einen großen Respekt vor Charles Bonnetti zu empfinden, nach ihren Worten war der Künstler ein Mandarin, ein Arbiter elegantiarium, ein mächtiger Mann. »Wie traurig, daß er sich nicht für Frauen interessiert«, sagte Ines, der auch der günstigste Erwerb eines Wandteppichs ohne kleinen Flirt wie ein Schlag ins Wasser vorkam.
    Aimée wußte, daß Hilfsbedürftigkeit auf die meisten Menschen eine erschreckende Wirkung erzielt. Schon bevor sie sich zu Bonnetti in das VI. Arrondissement auf den Weg machte, hatte sie sich vorgenommen, dort weder das Weibchen noch die Unglückliche hervorzukehren. Sie wollte so unbekümmert, souverän und weltgewandt wie möglich erscheinen. Bonnetti machte ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten, als er erkannte, daß es nicht Boris war, der geklingelt hatte. Daß Boris erwartet wurde, war für Aimée sogar ein Glücksfall, denn weder hätte Bonnetti die Tür geöffnet, wenn er nicht jeden Augenblick |416| mit der Rückkehr des schwer betrunkenen Boris gerechnet hätte, noch wäre die erste halbe Stunde so einfach zu bewältigen gewesen, denn Bonnetti war durch die Warterei zermürbt und zerstreut, und Aimée saß schon eine ganze Weile mit wachsender Sicherheit in der dunklen Wohnung und hatte ihr Anliegen gerade erst vortragen können, als Stephan eintraf. Sie hatte deshalb auch noch keine Antwort erhalten, ob Bonnetti sie für irgendeine Aufgabe brauchen oder weiterempfehlen könne. Natürlich hätte sie das Eintreffen eines Amerikaners von der Botschaft in Vichy, wie ihre Umstände aussahen, auch dann neugierig gemacht, wenn sie sich bei Stephans Anblick nicht sofort hätte fragen müssen, ob er der junge Mann sei, der bei »Fouquet’s« den bestellten Tisch inspiziert hatte. Aimée wußte, daß sie ihre Fäden in jeder Richtung zu spinnen hatte, die sich ihr auftat, und sie hatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, wie schwer eine einsame und mittellose Ausländerin in dieser Stadt günstige Beziehungen anknüpfen konnte. Stephans Auftreten erschien ihr wie der Fingerzeig des Himmels, daß sie nun endlich auf erfolgversprechender Fährte wandele. Scheinbar ohne ihn weiter zu beachten, änderte sie ihre Taktik und stimmte sie ganz auf Stephan ab, der ihr durch sein Schweigen immer anziehender wurde. Das Schweigen eines Mannes erntete hier ein weiteres Mal den ungerechten Lorbeer, der ihm seit jeher beschieden ist. Am Felsen des männlichen Schweigens zerschellt die geistvollste, unterhaltsamste Suada eines Konkurrenten und läßt ihn als haltlosen, weibischen Schwätzer erscheinen. Aimée hätte dies Gesetz zu verteidigen gewußt. Eine Frau brauche in ihrer Lage einen Mann, der für sie da sei, und nicht einen, der sie amüsierte; Aimée würde überhaupt niemals einen Mann brauchen, der sie amüsierte; ebensowenig wie sie die Langeweile kannte, hatte sie Sehnsucht nach Zeitvertreib. Wenn für die Grundbedürfnisse des Lebens gesorgt war, würde sie sich den Luxus der Divertimenti schon selbst zu beschaffen wissen, dazu bedurfte es keines Mannes.
    Aimée war in Not, wenngleich ihre bis zur Dreistigkeit ungebrochene Haltung sie immer noch nicht bemitleidenswert erscheinen |417| ließ. Das änderte nichts daran, daß sie, als ihr die Concierge ihres kleinen Hotels vor einer Woche eine letzte Frist zur Bezahlung der Rechnung gesetzt hatte, auf ihr Zimmer zurückgekehrt war, sich auf das Bett gesetzt und lange und hemmungslos geweint hatte. Aimée zehrte von ihren letzten Kraftreserven, als sie Stephan bei Bonnetti begegnete. Wenn sie ihre Zukunftsaussichten so

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