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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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in Bonnettis Atelier erblickt hatte. Aimée nahm ruhig den Zimmerschlüssel beim Portier entgegen und ging an Stephan vorbei zum Aufzug. Sie warf ihren Kopf zurück und riß die Kostümjacke eng um ihren Körper herum, indem sie die Arme verschränkte und mit jeder Hand die gegenüberliegende Jackenseite festhielt. Stephan mußte noch telephonieren und blieb deshalb in der kleinen Halle zurück. Sein Vorhaben erwies sich als schwierig, es war fortwährend besetzt. Er beschloß, eine Weile zu warten, und setzte sich auf ein steifes Sofa. Das fängt ja gut an, dachte Stephan und reckte sich diskret.
    Sein Stimmungsumschwung war beträchtlich. Diese Art der Entwicklung einer Affäre überforderte seine seelischen Möglichkeiten bei weitem. Der Blitzschlag, der ihn im Atelier Bonnettis getroffen hatte, die Zauberstunde in den dämmrigen Zimmern, die Erscheinung der sich in unsichtbaren Fesseln auf dem Sofafelsen windenden Prinzessin, sein eigenes Verstummen, das ihm, hätte er an die Bibel gedacht, gewiß vorgekommen wäre wie der von Engeln versiegelte Mund des Hohenpriesters Zacharias. Dann dieser mühelos arrangierte, erstickend banale Nachmittag, das Geschwätz über Ines Wafelaerts, Aimées Dankbarkeit für den Service bei »Maxim’s«, der die Unterhaltung derart |424| häufig unterbrach und ablenkte, daß es ihnen gelang, die gegenseitige Befangenheit fast zwanglos zu übersehen. Und nun am Schluß dieses nervenaufreibenden Tages dies Verhalten Aimées, dies Betragen eines käuflichen Mädchens oder der abgebrühten Männerverbraucherin. Aber warum war sie dann vorher dermaßen spröde gewesen? »Spröde« war vielleicht gar nicht einmal der richtige Ausdruck. Sie verhielt sich zwar nicht im mindesten kokett oder wenigstens mysteriös, aber auch nicht steif oder irgendwie damenhaft, was nach ihrem Betragen bei Bonnetti allerdings auch ein starkes Stück gewesen wäre. Sie war vielmehr ganz besonders freundlich zu Stephan, dankte für alles Gebotene mit einem überirdischen Lächeln und berührte einmal sogar seine Hand, aber zart, daß ihm keineswegs erlaubt gewesen wäre, diese Geste anders als mit der Herzlichkeit zu erwidern, die man einer schwesterlichen Freundin entgegenbringt. Sie hatte ihm beim Essen ziemlich schonungslos das Ausmaß ihrer Notlage eröffnet, in einem Tonfall übrigens, in dem man eine groteske Geschichte erzählt, und auf seine beklommene Frage, ob er ihr vielleicht irgendwie helfen könne, mit einem Lachen geantwortet, das Stephan genau kannte, weil es bei Florence oder Ines Wafelaerts den Ausruf »rührend« begleitete und ihn stets verstört hatte, weil er vermutete, daß »rührend« nicht ausschließlich freundlich gemeint war, wenn es mit einem Lachen dieser Klangfarbe zusammen auftrat. Gerade deshalb war auch Aimées Bitte um Logis in seinem Zimmer rätselhaft, denn sie hatte doch gerade jede Hilfe abgelehnt, und war viel zu überlegen, als daß Stephan ihr noch hätte widersprechen mögen. Stephans Schwerenöter-Pose kehrte zurück, er fühlte sich als Herr der Materie. »Die will«, sagte er zu sich selbst und boxte sich mit der rechten Faust in die linke Hand. So waren die Frauen eben: Die Koketten machten Schwierigkeiten, und die stillen Wasser bewegten sich plötzlich, obwohl man gar nicht gepustet hatte.
    Stephan hatte im Grunde zu keinem Zeitpunkt seines Lebens daran geglaubt, daß eine Frau sich allen Ernstes für ihn interessieren könne. Wie alle unsere tiefsten Überzeugungen war auch diese weder durch ein Erlebnis entstanden noch durch |425| Erfahrungen korrigierbar. Es war nach den vielen Beziehungen zu Frauen, die Stephan mit den Jahren eingegangen war, für ihn noch jedesmal ein beinahe verstörendes, völlig überraschendes Ereignis, wenn eine Frau, der er nachstellte, ihm dann schließlich zeigte, daß seine Absichten auch die ihren seien und daß der Umsetzung der gemeinsamen Wünsche in die Tat nichts mehr entgegenstehe. Es war für Stephan ein tiefes Rätsel, was eine Frau allen Ernstes bewegen könne, sich mit einem Mann wie ihm abzugeben. Er ließ die Frauen, die er gekannt hatte, an sich vorbeiziehen und versuchte, die Eigenschaft herauszufinden, die ihnen allen gemeinsam war, weil er hoffte, auf diese Weise dem Herd seiner Unruhe näherzukommen. Wenn er eine Geliebte verließ – fast immer war es Stephan, der genug hatte –, dann tat er dies stets in der Gewißheit, nur seinem eigenen Hinauswurf zuvorgekommen zu sein. Er bekam nie heraus, was eine Frau an

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