Das Bett
sachlich wie möglich durchrechnete und dabei nach ihrer Gewohnheit jede, auch abstoßende und demütigende Rettungsmöglichkeiten in Betracht zog, weil sie aus dem Gefühl, daß es unter ihrer Würde liege, sich die Realität zu verschweigen, mit selbstquälerischer Bravour gern ausprobierte, ob es nicht doch etwas gebe, was sie erschrecke, dann geschah es jetzt manchmal, daß sie die Fassung verlor, nicht weil sich das Netz um sie mit bedrückender Endgültigkeit zuzuziehen schien, sondern weil ihre Gedanken sich im Kreis zu drehen begannen und das Ersinnen düsterer Entwicklungen nicht mehr wie anfangs noch als Selbstverspottung entlastend wirkte, sondern allmählich zur Erkenntnis einer zwangsläufigen Entwicklung geworden war. Aimée war zum erstenmal in ihrem Leben so weit gekommen, daß sie ihre Rettung vom Eingreifen eines anderen Menschen erwartete, dessen Auftauchen, sollte das Schicksal tatsächlich diesen Plan verfolgen, unmittelbar bevorstehen mußte, um nicht zu spät zu kommen. Aimée war verzweifelt, und sie hielt zugleich Ausschau: In dieser Disposition war der Umstand, daß Stephan, möglicherweise, kurz vor Kriegsausbruch, zusammen mit ihr, bei »Fouquet’s«, in den Spiegel gesehen hatte, für sie dermaßen bedeutungsvoll, daß sie ihre Entscheidung, ihm mit allen Mitteln auf den Fersen zu bleiben, alsbald getroffen hatte.
Stephan wurde währenddessen von der Vorstellung gepeinigt, daß Aimée ihn für einen aufs Maul gefallenen Bauern aus dem Wilden Westen halten könnte. Bonnetti sagte in Stephans Augen, soweit er ihn überhaupt verstand, eigentlich nur albernes Zeug, aber diese Leute brachten ihre Nichtigkeiten mit einer sprechlustigen Großartigkeit an den Tag, die Stephan beneidenswert fand, was ihm den Mund erst recht versiegelte. Stephan |418| machte zum erstenmal die Erfahrung, daß er unfreiwillig schwieg. Er fühlte das dringende Bedürfnis, Bonnetti als Causeur aus dem Feld zu schlagen, und das schien eigentlich leicht zu sein, denn man mußte nur mit Désinvolture allerhand Paradoxa und Schamlosigkeiten vorbringen und unkommentierbar in den Raum stellen, um sich auf dem ungemütlichen Thron des Konversationslöwen zu behaupten. Gerade diese nichtigen Bemerkungen, die angeblich so leicht zu haben waren und die aufzugreifen es doch eigentlich nur ein wenig Unverschämtheit bedurfte, fand er nun nicht, schon gar nicht, als er die auf dem Sofa liegende Aimée betrachtete, und auch nicht, als er sich vorstellte, daß sie ihre Augen in seinem Rücken hatte. Wenn sie ihn nur einmal angesehen hätte. Wenn es ihm wenigstens geglückt wäre, ihr einen, wie Willy es genannt hätte, »sprechenden Blick« zuzuwerfen! Er sah schon auf sich zukommen, daß ihm nur noch die Möglichkeit des Husarenstreichs, der überraschenden und gewaltsamen Handlung übrigbleibe, um sich nicht vollends aus einem Spiel, in das er noch gar nicht richtig eingetreten war, herauszubringen. Lampenfieber befiel ihn. Eine entschiedene Aktion in einer solchen Angelegenheit war nicht sein Fall. Er konnte sich bei reichem Erfahrungsschatz nicht auf eine einzige Affaire besinnen, die ihm durch einen zielbewußt geführten, entschlossenen Schlag zu beeinflussen gelungen war.
Niemand weiß, ob Stephan und Aimée sich damals bei Charles Bonnetti ineinander verliebten. Sie selbst klärten diese Frage in ihren sparsamen Unterhaltungen nicht, und auch wenn sie allein über den anderen nachdachten, wurde der Komplex der Verliebtheit oder gar der Liebe niemals angetastet. Stephan war es, als berühre unvermutet eine Hand seinen Rücken, als ihn die kühle Stimme Aimées gleichsam mitten zwischen die Schulterblätter traf. Er war sich augenblicklich darüber im klaren, daß die Besitzerin dieser Stimme nichts mit dem zu tun hatte, was er in der Sphäre von Florence, ob in Frankfurt oder in New York, jemals erfahren hatte. Die Langeweile von Vichy hatte seinen Geist dermaßen ausgedörrt, daß er glaubte, ein |419| ganzes Meer von Erlebnissen werde nicht ausreichen, um sich damit bis zum Grad der Sättigung vollzusaugen. Das waren Durstphantasien, gewiß, denn Stephans seelisches Aufnahmevolumen war durch sein Phlegma und sein haushälterisches Wesen viel begrenzter, als er jetzt glaubte. Stephan roch Gefahr, Härte, Kälte und Kampf, er fühlte sich stark genug für alle Proben, er kam sich wie ein Junge vor, der bisher nur mit Stöcken gefochten hat und zum erstenmal eine blaugeschmiedete Damaszenerklinge in die Hände
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