Das Bett
bekommt.
Charles Bonnetti stand plötzlich auf und sagte zu Stephan: »Und jetzt möchte ich noch ein Wort mit Ihnen allein sprechen.« Er winkte Aimée, die Anstalten machte, sich vom Sofa zu erheben, sie solle bleiben, wo sie sei, und führte Stephan in ein Nebenzimmer, in dem es außer einem Kamin mit großem Spiegel nur noch zwei voluminöse Sessel gab, die wie für die Mitropa entworfen aussahen. Bonnetti schloß die Flügeltüren hinter sich und sagte mit gedämpfter Stimme, vor der Türe lehnend, als wolle er Stephan mit seinem Leib daran hindern, das Nebenzimmer, in dem Aimée lag, wieder zu betreten: »Verzeihen Sie die Geheimniskrämerei. Ich kenne das Mädchen nicht. Sagen Sie mir ganz schnell: Wie viele Leute können Sie hier herausbringen? Nicht nach Amerika. Spanien oder Marokko reichen auch. Aber ich will weg, es wird mir ungemütlich. Nicht meinetwegen in erster Linie übrigens.«
»Sie allein könnte ich jetzt schon im Auto mitnehmen«, sagte Stephan.
»Das nützt mir nichts«, sagte Bonnetti. »Es muß noch jemand mit, ein Freund und Assistent von mir.« Stephan wunderte sich über den entschiedenen, schnellen und sachlichen Ton, den Bonnetti jetzt an sich hatte. Das zerstreute Plaudern war wie weggeblasen. Auch machte Bonnetti nicht den Eindruck eines Bittstellers. Er stellte nicht höflich anheim, er diktierte einfach Bedingungen. Und doch glaubte Stephan in dieser lakonischen Strenge keine Anmaßung zu hören. Er wußte, daß es in diesen Tagen Notlagen gab, die den Hilfsbedürftigen das Bitten abgewöhnt hatten. Ist der Schrei des abstürzenden Bergsteigers |420| etwa eine Bitte? Obwohl die Lage nicht ganz so dringlich aussah, waren Bonnettis Bedingungen für seine Abreise ein Befehl.
Stephan konnte diesen Anordnungen zu seinem Bedauern nicht entsprechen. Er hatte schnell überschlagen, daß ein überfülltes Auto das Mißtrauen der Kontrollen wecken müsse und daß damit niemandem geholfen sei.
»Gut«, sagte Bonnetti, »dann gehen Sie und organisieren Sie rasch, daß wir hier wegkönnen. Und kommen Sie bald wieder, damit Sie noch jemanden zum Abholen vorfinden.« Stephan in seinem Mitropasessel stellte keine Gegenfragen, wie es ein pflichtbewußter Abgesandter gewiß getan hätte. Er fühlte sich aller Bürokratie unendlich fern. Er war doch inkompetent und begriff zwar, daß hier ein Mensch eine dringende Forderung an eine wichtige Institution stellte, aber er fühlte sich dabei nicht angesprochen. Er kam sich wie ein Hochstapler vor, als er Bonnetti die »alsbaldige und wohlwollende Prüfung« seines Falles zusagte. Gegenwärtig war nun nur noch ein Platz frei im Fond des großen schwarzen Wagens, und da Stephan nicht die Order erhalten hatte, jemanden Bestimmten mit nach Vichy zu bringen, wollte er über diesen Platz gern noch ein Weilchen verfügen. Charles Bonnetti wurde doch ohnehin geholfen. Günstigere Protektion als die durch Mrs. Meyrish wäre nur mit großen Schwierigkeiten aufzutreiben gewesen.
Draußen sagte Bonnetti zu Stephan, indem seine Stimme wieder den alten, losen Klang annahm: »Ein Mann allein in Paris. Sie müssen Gesellschaft zum Essen haben. Nehmen Sie doch die junge Skythin hier mit, sie wird Ihnen etwas voressen, da bekommen Sie was zu sehen für Ihr Geld. Baronesse«, fuhr Bonnetti fort, indem er die Arme ausbreitete, »Sie sind ein besonderes Wesen, ohne Zweifel, aber ich kann leider gar nichts für Sie tun. Ich weiß nicht, was hier werden wird, zu zeichnen ist für mich im Augenblick gar nichts, meine Freunde habe ich aus den Augen verloren. Ich wünsche Ihnen Glück, obwohl ich nicht gut Glück wünschen kann: Meine Mutter hat vergessen, die dreizehnte Fee zu meiner Taufe einzuladen. Der arme Charlie ist |421| keine Empfehlung mehr, Baronesse, aber er dankt ganz entzückt für das Vertrauen.«
Daß die größte Hürde, die Stephan vor sich gesehen hatte, einfach weggenommen wurde, betäubte ihn ein wenig. Eben hatte er sich noch gefragt, wie er seine Verkrampfung überwinden und die Kraft zu einem Ausfall finden solle. Plötzlich war das, was Stück für Stück errungen werden sollte, um schließlich zum Ziel zu führen, die bare Selbstverständlichkeit: Stephan ging mit Aimée spazieren, Stephan ging mit Aimée zu »Maxim’s« zum Essen, Stephan stellte mit Aimée gar gemeinsame Bekannte fest: Ines Wafelaerts an erster Stelle, und die beiden hatten ihren gepflegten Spaß an der Entdeckung, daß sie sich eigentlich schon hätten vor zwei Jahren
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