Das Bett
angekommen, vortragstechnisch hatte er sich vorgestellt, daß die nun folgende Überlegung in einem schläfrig machenden Tonfall, der den Widerstand des wachenden Intellekts zugunsten inspirierter Beeinflußbarkeit einzulullen hatte, gesprochen werden sollte, und statt dessen hatte sich sein ohnehin nicht voluminöses Organ zu einem scharfen Krähen verwandelt, das den metaphysischen Nachhall in den lauschenden Seelen erst gar nicht aufkommen ließ, dafür aber die Eigenartigkeit der Formulierung nackt und bloß dem Tage auslieferte.
»Es gibt auch eine Besessenheit, die kommt von Gott. Göttliche Besessenheit – göttlich Besessene. Aber ist das Besessenheit? Ist das nicht eher – Erfülltheit? Verharmlosen wir nicht! Seien wir mutig! In wem der Gott rast, der ist besessen von Gott.« Meine Tante hatte bis dahin nur stumm die Lippen bewegt, als zähle sie die Bildchen und merke sich noch einmal die Gesichtspunkte, nach denen sie sie ordnen wolle. In dem Maße, in dem sich die Stimme des Predigers verschärfte und ihr Unmut darüber anwuchs, wurde auch ihr Murmeln lauter. Als aber der Monsignore nach »... ist besessen von Gott« eine Kunstpause machte, die nicht nur vom Inhalt her geboten war, sondern die auch des flatternden Echos in der weitläufigen Kirche wegen |474| eingehalten werden mußte, sagte sie mit ihrer kräftigen, wohllautenden Stimme, zu der sie sich vorher niemals so recht hatte bekennen wollen, indem sie die Totenbildchen ihres Vaters aufnahm und mir zeigte: »Das ist mein Vater, gestorben im Jahre 1949 an Alterskrebs, geboren 1869 in Trier.«
Gemessen an ihrer Harmlosigkeit, konnte die Wirkung dieser Worte nicht stärker sein. Der Monsignore starrte einen Augenblick fassungslos meine Tante, seine prospektive Schülerin, an. Im übrigen Kirchenschiff bewegten sich die Köpfe der Zuhörenden hin und her, die Ruhe für die Aufnahme des schwierigen Predigttextes blieb eine Weile gestört. Meine Tante nahm von alledem nichts wahr und legte das Bildchen ruhig zurück. Sie war gerade im Begriff, das nächste zu ergreifen und mir mit ebenso lauter Stimme die zu seinem Verständnis erforderlichen Erklärungen abzugeben, als Fräulein Feige sich zu uns einen Weg bahnte und meine Tante an die Hand nahm.
Fräulein Feige war die Gemeindehelferin. Sie war noch jung und meiner Tante nicht unähnlich in der Erscheinung, was die unkleidsamen Kostüme, flachen Schuhe und vernachlässigten Haare anging, sogar die Aktentasche und Baskenmütze hatte sie mit meiner Tante gemeinsam. Aber während die orientalischen Augen meiner Tante aus ihrer unweiblichen Montur herausblickten wie die einer schönen Sklavin, die sich zum Zwecke der Flucht in Männerkleider gehüllt hat, ging Fräulein Feige in ihrem äußeren Typus restlos auf. Sie hatte rote Backen, die von einer Vielzahl geplatzter kleiner Adern überzogen waren, und ihre Stimme war heiser geworden, weil sie sich beim Üben der Kirchenlieder mit den Kindern und bei den Prozessionen, bei denen der städtische Gemeindegesang häufig recht dünn klang und manchmal sogar ohne Fräulein Feiges tatkräftiges Eingreifen gar nicht zu hören gewesen wäre, ohne Schonung verausgabte. Und doch empfand ich es später als besonders beschämend, daß meine Tante nun vor der ganzen Gemeinde, übrigens so schonend und taktvoll wie nur möglich, ausgerechnet von einer Frau hinausgeführt wurde, an deren Stelle sie, wäre ihr Leben nur geringfügig anders verlaufen, ohne weiteres selber hätte |475| stehen können, um an eben dieser Stelle und in der liebevollen Ausübung dieser Funktion etwa ein Fräulein Feige, sollte sie sich auffällig betragen haben, durch die Gasse der Gemeinde leise in die Sakristei zu führen.
Unterdessen erwartete Ines Wafelaerts den Besuch von Florence Korn, die sich mit ihrem Sohn am späten Vormittag, vor dem Mittagessen, bei meinen Eltern angesagt hatte, um von ihrer alten Freundin Abschied zu nehmen, einen endgültigen wahrscheinlich sogar, denn sie plante keine Wiederholung ihres Aufenthalts in Frankfurt und hatte auch nicht die Absicht, Ines vielleicht einmal nach Amerika einzuladen. Sie war in Gedanken schon abgereist, Frankfurt hatte nicht mehr die Kraft, ihre Phantasie zu beschäftigen. Florence kam es vor, als sei es dieser Stadt, die sie niemals geliebt hatte, nicht gut bekommen, daß sie nicht mehr dort wohnte. Wie eine leere Hülse, ohne Funktionen und ohne Leben, lagen die Straßen, in denen sie einmal zu Hause gewesen war, vor ihr. Die
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