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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sei, der sich niemals richtig ausleben dürfe.
    Es rettete den Priester bei seinen Oberen übrigens nicht, daß er erklärte, er habe selbstverständlich keinen spiritistischen Kreis beraten wollen, er sei vielmehr im wesentlichen dazu befragt worden, ob es moralisch zu rechtfertigen sei, wenn man mit allem Wollen im Gebet um eine Änderung der herrschenden Verhältnisse, des Krieges und der Tyrannei flehe und dabei diese Änderung zuerst und vor allem in der ersehnten Höllenfahrt des Diktators erblicke, ein Vorhaben, das im Dillenhausen der alten Agnes vermutlich mit dem Ausdruck »totbeten« charakterisiert worden wäre und in dieser Form erst recht nicht die Billigung des Ordinariates finden konnte. Dabei war es Ines tatsächlich vor allem um diesen Wunsch zu tun gewesen, weniger im übrigen aus einem Haß gegen Hitler heraus, sondern wohl hauptsächlich, weil sie die spirituellen Formen der Beeinflussung auf die Probe stellen wollte und der sicherste Beweis ihrer Wirksamkeit gewiß dadurch gegeben wurde, wenn weit weg vom magischen Zirkel irgend jemand starb, um den es nicht schade war. Auch der Monsignore hatte gerade diesen Teil der Beratung besonders ernst genommen. Seine Gewissenserforschung ließ keinen Zweifel darüber, daß ihm die Vorstellung eines Attentats des Willens zur fixen Idee geworden war, je länger er mit Ines diesen Fall besprach. Er hatte sogar schon ein Gedicht zu diesem Plan geschrieben, das in freien Rhythmen versuchte, der Willensballung, wie sie ihm vorschwebte, ein sprachliches Äquivalent an die Seite zu stellen. »Ich habe mich sehr weit in schwierigstes Gelände vorgewagt«, |468| bekannte sich der Monsignore, ohne freilich darüber Reue zu empfinden, denn er zählte sich zu den Kämpfern in den Gräben der Seele, und er kalkulierte die Gefahr, im Grabenkampf unversehens die eigene Seite zu verlassen, ja die Front zu wechseln, im vorhinein furchtlos und kühlen Herzens ein.
    »Was heißt denn überhaupt Besessenheit?« fragte der Monsignore von der Kanzel herab in das hallende Kirchenschiff hinein. Fragen spielten die größte Rolle in seinen Predigten, und er ließ sich oft genug dazu verführen, die Predigt auch mit einer Frage schließen zu lassen, meist mit derselben, mit der die Predigt begonnen hatte. Wenn aber bei der klassischen Kanzelfrage die Antwort entfällt, weil sie dem Hörer als selbstverständlich suggeriert wird, so ließen die Fragen, die der Monsignore in der Predigt liebte, die Gemeinde oft in Verwirrung und Ratlosigkeit zurück. Man war gewohnt, eindeutige Direktiven von der Kanzel zu erhalten, aber einzelnen Hörern kam es immer wieder vor, als hätten sie ganze Passagen der Ansprache nicht mitbekommen.
    »Der Besessene ist ein Gefäß«, sagte der Monsignore mit hoher Stimme und machte danach eine bedeutungsvolle Pause. Soweit die Gemeindemitglieder bereit waren, ebenfalls Gefäße zu sein, sanken seine Worte in sie hinab und blieben auf dem Boden neben allerlei anderen Worten liegen, die zu anderer Zeit und von anderen Rednern dorthin geraten waren. Das Wortgefäß weckte jedenfalls noch keinen Widerstand in den Hörern, zumal der Sprecher dazu die beiden Hände vor die Brust hob, als forme er dort auf unsichtbar surrender Töpferscheibe eine folkloristisch wirkende Salatschüssel.
    Mir fiel auf, wie zerfahren meine Tante sich verhielt. Nichts mehr an ihr glich der gehorsamen Haltung, mit der sie sonst die religiöse Unterweisung während der Messe zu hören pflegte. Unruhig und zielbewußt blätterte sie in ihrem dicken Meßbuch, aber nicht, wie Ines Wafelaerts es getan hatte, als sie noch Messen besuchte und sich vergeblich bemühte, die der Zelebration des Tages entsprechenden Stellen aufzufinden und mit den bunten Seidenbändchen zu markieren, sondern um all die zahlreichen |469| Bildchen, die sie darin gesammelt hatte, herauszusortieren und in verschiedenen Häufchen vor sich auf der Bank zu ordnen.
    Die Bildchen, die an Wallfahrtsorte erinnerten, kamen auf das erste Häufchen. Sie zeigten vorwiegend die Gnadenbilder, denen die Pilgerfahrt galt: kleine, meist unbeholfene bäuerliche Skulpturen, die einstmals an einem Wegesrand auf freiem Feld gestanden hatten, bis plötzlich ihre Wunderkraft entdeckt worden war, zunächst von einem Hirten mit gebrochenem Bein, der im Schatten der bescheidenen Statue unerklärlicherweise gesund wurde. Nun stand die starre Madonna, unter kostbaren Schmuckstücken fast verschwunden, auf dem Hochaltar der Kirche, die um sie

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