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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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herum gebaut worden war, wie die mittelalterliche Legende von einsamen Büßern erzählte, die vom Konklave aus ihrer Wildnis in den Märchenglanz des Vatikans versetzt wurden. Mit ihrer Königinnenkrone, den gleichfalls gekrönten Sohn auf dem Arm, lag die Muttergottes von Kevelaer nun auf dem ersten Häufchen zuoberst, und nicht aus Zufall, denn ich wußte, daß ihrer Person die besondere Verehrung meiner Tante gehörte.
    Im zweiten Häufchen lagen die Bilder, die die Gläubigen beim Empfang der Osterkommunion erhalten. Meine Tante besaß eines für jedes Jahr ihres Lebens, die ersten sieben Jahre ausgenommen, in denen sie zum Empfang der heiligen Speise noch nicht zugelassen war. Der Wandel der Zeiten war auf die Gestaltung der Bildchen nicht ohne Einfluß: den Anfang machten nazarenisch geprägte Szenen aus dem Leben der Heiligen Familie, Abbildungen des Osterlamms, des flammenden Herzens Jesu und des heiligen Joseph; dem folgten streng stilisierte Kreuzigungen im Neubeuroner Stil, und schließlich kamen die Bildchen aus der Zeit nach dem Krieg, Reproduktionen von zersprungenen lkonen und neue Versuche der Kirchenkunst. Als Abschluß lag hier das Bildchen des letzten Jahres, ein Holzschnitt, der das Motiv »Mutter und Kind« in drei übereinandergetürmten Kreisen sehr frei behandelte. Ausdrucksvoll sprach dieses Häufchen von dem Wandel der Zeit, aber nicht von den Lebensjahren meiner |470| Tante, die nun einmal nicht vom Wechsel, sondern von der unabänderlichen Gleichförmigkeit gezeichnet waren. Ich könnte nicht einmal sagen, ob sie die Veränderung im Stil der Bildchen wirklich wahrgenommen hatte. Sie war zwar gewöhnt, das Gegenwärtige, das ihr vorgeschrieben wurde, dankbar entgegenzunehmen und es vor allem als eine Verbesserung gegenüber der Vergangenheit zu empfinden, aber gerade die generelle Zustimmung verhinderte auch, daß sie sich die Dinge, die außerhalb ihres Pflichtenkreises lagen, allzu genau ansah, wie das die Nichtstuer taten. Meine Tante schenkte diesem Häufchen, das das dickste war, viel Sorgfalt und machte einen exakten Stapel. Es bestand kein Zweifel, daß sie in diesem Augenblick den Sinn ihres Lebens darin erblickte, diesen Stapel so lange lückenlos zu ergänzen, bis der Tod die kleine Serie einst abschloß.
    Als drittes und dünnstes Häufchen folgten schließlich die Sterbebildchen der Anverwandten, vornehmlich von Vater und Mutter, als einziger nicht blutsverwandter Person auch das einer Eibinger Äbtissin, an deren Beerdigung meine Tante teilgenommen hatte. Bevor sie diese Bildchen ablegte, studierte sie die Sprüche, die unter den Photographien der Toten standen: »Eine Ehrenkrone ist das Alter, auf dem Wege zur Gerechtigkeit wird sie gefunden«, »Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir« und »Wer reine Hände hat und lauteren Herzens ist, der steigt zum Berge des Herren hinan«. Unter dem Bild ihrer Mutter, die auch als alte Frau noch etwas von ihrer einstigen Schönheit erkennen ließ und der meine Tante so ähnlich sah, daß mein Vater sagte, es sei ihm erst an meiner Großmutter aufgegangen, daß meine Tante eigentlich ein hübsches Mädchen sei, stand die Aufforderung: »Betet für die arme Seele der lieben Verstorbenen!«
    Dieser Bitte war meine Tante in einer Gewissenhaftigkeit nachgekommen, als gehöre dies Gebet als eine Art Fortsetzung zu der aufopfernden Pflege, die sie ihrer Mutter bis zu deren Tod hatte angedeihen lassen, und noch heute sorgte sie dafür, daß eine rotglühende Ewige Lampe neben dem frisch bezogenen Bett meiner Großmutter stand, auf deren Nachttisch alles, was zu |471| ihrem täglichen Gebrauch gehört hatte, unberührt wie am Todestag aufgestellt war, so daß sich meine Großmutter, wenn es ihr in ihrem entmaterialisierten Zustand eingefallen wäre, sich an den Ort ihres irdischen Lebens zu begeben, dort alles auf das einladendste bereitet gefunden hätte, und wenn auch meine Tante gewiß nicht mit einem solchen Besuch rechnete, war sie doch davon überzeugt, daß die Tote ihre Mühen um sie im Auge behielt und unglücklich gewesen wäre, wenn sie diese vernachlässigt hätte. So seltsam der Totenkult meiner Tante im übrigen ihre Umwelt, soweit sie davon etwas mitbekam, berührte, war er in seiner scheinbar dem Leben abgewandten Strenge in Wahrheit doch eine der wenigen Schutz- und Kraftquellen meiner Tante. Die Sorge für die Ewige Lampe entfernte sie für befreiende Augenblicke aus einer Gegenwart, die sie mehr zu bedrängen als zu

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