Das Bett
Stadt war, als Florence ihr den Rücken wandte, wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Der Zustand, in dem Ines sich jetzt befand, trug nicht dazu bei, in Florence heimatliche Empfindungen zu wecken. Rührend fand sie, daß die alte Agnes ohne Stellung dasaß, als habe es für sie eine einzige Lebensaufgabe gegeben, nämlich den Korns zu dienen, und als sei ihr mit deren Weggang nur übriggeblieben, die Erinnerung daran zu bewahren und auf den Tod zu warten. Mit künstlichem Gleichmut schlug Florence ihrem Sohn vor, Agnes gemeinsam in ihrer Dachkammer aufzusuchen. Als Stephan auswich und Arbeit vorschützte, sagte Florence leichthin: »Altes Personal ist Frauensache, laß dich nur nicht irritieren, du mußt ja fertig werden, damit wir aufbrechen können.« Sie wunderte sich nicht, daß sie auf diese Erwähnung ihrer Heimreise nach New York von Stephan nie eine Antwort bekam, keinen Widerspruch, aber auch keine Zustimmung, allenfalls eine ausweichende Bemerkung, die sie daran hindern sollte, das Thema zu vertiefen oder gar genauere Auskünfte über seine Pläne zu verlangen.
Stephan verhielt sich, was seine Rückkehr nach New York anging, |476| wie ein Mönch des Mittelalters, der dem Teufel zu entkommen hofft, indem er stets peinlich vermeidet, ihn beim Namen zu nennen. Er glaubte, daß er sich Optionen offenhalten könne, daß plötzlich noch irgend etwas dazwischenkomme, er glaubte vielleicht auch, daß es ihm leichter fallen werde, seinen Willen durchzusetzen, wenn er die Entscheidung bis zum äußersten Zeitpunkt hinauszögerte und dann einfach größere Diskussionen mit Florence nicht mehr möglich wären, vor allem aber sagte er sich wohl, daß dem ganzen Reiseplan so lange die Realität fehle, wie es ihm gelinge, ihn totzuschweigen. Florence wären normalerweise solche Ausweichmanöver ihres Sohnes nicht entgangen. Sie besaß in ihrer langen Befehlsgewohnheit eine überempfindliche Nase für Insubordination, und sie kannte Stephan zu gründlich, um bei ihm die Kaufmannsregel, daß Schweigen Zustimmung bedeute, ohne weiteres in Anwendung zu bringen. Diese Regeln taugten in seinem Fall nur, um ihn nachträglich ins Unrecht zu setzen, wenn die Ungehorsamkeit also bereits manifest geworden war und Florence ihm zur Wahrung ihrer Würde wenigstens ein schlechtes Gewissen nicht ersparen mochte. Das waren dann Rückzugsgefechte, wie Florence ahnte. Sie hatte sich die Erfahrung der Kondottieri zu eigen gemacht, die wußten, daß noch so harte Bestrafung der Disziplinlosigkeit nicht das üble Omen bannte, das in der Gehorsamsverletzung selbst lag. Wie solche Söldnerführer verlegte sie sich aufs Taktieren, wenn sie befürchtete, daß ihr eine Machtprobe mit Stephan bevorstand, denn sie wollte verhindern, daß er sich an die Situation gewöhne, nicht in allem mit ihrem Willen übereinzustimmen.
Von solch taktischem Verhalten konnte jetzt keine Rede mehr sein. Florence sah ihr Leben vor sich wie ein Wanderer, der nachts ein von Blitzen erhelltes Tal in seinem ganzen, ungeahnten Ausmaß erblickt. Ihre Liebe zu Dr. Henry Tiroler hatte sie in einen permanenten Erregungszustand versetzt. Daß Tiroler nun todkrank sein Ende erwartete, ihr also keine gemeinsame Zukunft mit ihm bevorstand, ließ ihr alles, was geschah, bedeutungsvoll und groß erscheinen. Daß Tiroler sterben würde, war |477| gewiß, aber es ließ kein Vakuum in ihr entstehen. Durch seinen frühen Tod wurde er wie ein Führer, der sie in ein neues Land wies; Staatsbürger in diesem Land konnte nur werden, wer Tiroler geliebt hatte, ihr aber würde zudem noch gewährt werden, jemanden dorthin mitzunehmen, Stephan natürlich, den sie der Trivialität seiner Existenz entreißen würde. Die Vision dieses zukünftigen Lebens enthielt nur drei Menschen: sie, Stephan und einen Henry Tiroler, der zwar körperlich nicht mehr gegenwärtig, aber dafür sternzeichenartig an den Himmel versetzt war, wo er sich ewig leuchtend ausruhte.
Das Bemerkenswerte an diesen Aussichten, die Florence pflegte, war ihre Ungenauigkeit. Florence hatte ihre Nüchternheit verloren. Sie fragte sich nicht ein einziges Mal, worin dieses Leben, das sie mit Stephan führen wollte, sich eigentlich von dem unterscheiden würde, das sie bereits seit vielen Jahren mit ihm führte. Sie wollte Willy ja keineswegs verlassen, sie wollte auch nicht umziehen, sie wollte schon gar nicht, wie es bei Frauen ihres Milieus gelegentlich vorkam, plötzlich anfangen, irgendeine sinnlose, vermeintlich
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