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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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das den Hochzeitszug zeigte, meine Tante mit ihrem schwarzen Federhut entdeckte, die erschrocken am Arm ihrer alten Mutter, die den Blick auf den Boden gerichtet hatte, während meine Tante in die Kamera blickte, aus der Kirche kam. |72| »Da haben wir sie ja wieder«, sagte der Bischof, »und sogar noch mit demselben Hut. Jetzt können Sie mir vielleicht erklären, was Sie sich dabei gedacht haben.«
    Meine Mutter war durch das Photo betroffen. Es wirkte auf sie wie das Beweisstück für ein Verbrechen. »Ich habe versucht, sie davon abzuhalten«, murmelte sie, »aber sie wollte ihn partout wieder aufsetzen, sie war nicht davon abzubringen. Schließlich ist sie erwachsen, und ich konnte ihr den Hut doch nicht einfach wieder abnehmen. Sie hat ihn sich selbst gekauft.«
    Die Brillengläser des Bischofs funkelten. Sie sah seine Augen nicht mehr, aber sie hörte seine eisige Stimme: »Ich habe alles genau gesehen. Aus meinem Fenster kann ich alle Seiten des Brunnens auf einmal überblicken, mir bleibt hier nichts verborgen. Der Versuch ihres Schutzengels, ihr den Hut einfach zu entreißen, ist bei dieser gefährdeten Person natürlich gescheitert. Sie hat sich richtig an die Brunnengitter gepreßt, um dem Wind zu entgehen, dem heilsamen Wind, und ihr Fleisch ist durch die Schmiedeeisenmuster gequollen, das alles war furchtbar mitanzusehen, ich mußte aufhören zu schreiben, und dabei hatte ich einen wichtigen Brief an seine Mutter vorzubereiten – wußten Sie übrigens, daß Florence Korn uns nahesteht?«
    »Ich hatte den Verdacht«, antwortete meine Mutter, die die Hochzeitsphotos eingesammelt hatte und versuchte, daraus ein ordentliches Päckchen zu machen. Da dies Päckchen aber viel zu dick für den schmalen Koffer war, mußte sie die Bilder dann doch wieder verteilen, und schließlich herrschte dieselbe Unordnung unter ihnen wie anfangs.
    Der Bischof war unterdessen aufgestanden und zum Altar gegangen. Er betrachtete mißmutig den Schmutz, der die Altarplatte bedeckte, und blies in den Staub hinein, so daß ihn alsbald eine dichte Staubwolke umgab, in der er völlig verschwand.
    Meine Mutter richtete ihre Augen zur Decke, wo sich die Bischofsmitra mit einem goldenen Krummstab kreuzte, sie vermutete, daß sich der Bischof wohl in der Nähe seiner Insignien aufhielt.
    Im selben Augenblick hielt Stephans Mercedes vor der Kirche, |73| sie ging mit ihrem Koffer hinaus und stieg in das Auto. Stephan saß allein darin, er war sehr blaß. »Wo ist sie?« fragte meine Mutter.
    »Ich habe sie in den Kofferraum getan«, antwortete Stephan. Dann fuhr das Auto davon über den leeren Platz, der keine Grenzen hatte und sich über das ganze Frankenland erstreckte.
    Wenige Tage nach unserem Ausflug hatte Stephan meinem Bruder und mir ein prunkvoll ausgestattetes Lebkuchenhaus mitgebracht, das in Zellophan eingepackt war und einer gipsernen Hexe mit ihrem Kater zur Behausung diente. Wir bewunderten dies Lebkuchenhaus, das meiner Sehnsucht nach der Wirklichkeit der Märchenwelt weit mehr gerecht wurde als die Ruine des Würzburger Schlosses, und meine Eltern und die Tante fügten von sich aus bei der Überreichung des Hauses demonstrativ noch zusätzliche Bewunderungen hinzu, die uns erziehungshalber in das Erwachsenenritual, das den Schenkungsakt begleitete, einweihen sollten: das maßlose Bestaunen der mitgebrachten Niaiserie, der nachdrückliche Tadel an den Schenkenden, der mit seinem Geschenk offenbar etwas Verbotenes unternommen hatte, der den Tadel allmählich besiegende Dank, der sich bald zu seiner ganzen Größe entfaltete, und das geschäftige Wegstellen des Geschenks an eine Stelle, wo es nicht mehr zu sehen war und auch nie mehr gesehen werden würde.
    Meine und meines Bruders Begeisterung über das Haus war hingegen sprachlos, weil sie mit der Sorge gemischt war, man könnte uns das Haus sofort wieder wegnehmen, um es uns erst an Weihnachten wiederzugeben. Stephan kam dem erstaunlicherweise mit der Erklärung zuvor, das Haus sei ein Adventshaus. Meine Mutter mußte das Haus wieder hinstellen, und meine Tante fragte verwirrt: »Gibt es das wirklich?«
    Am selben Tag, nachdem Stephan schon längst gegangen war, sah ich meine Tante bedrückt und ziellos durch die Zimmer gehen. Sie suchte meine Mutter, blieb aber stumm, und als sie vor ihr stand, tat sie, als gebe es nichts zu besprechen.
    Ein kurzes Schlucken in ihrer Stimme zeigte dann, daß die Frage, die sie schließlich stellte, alles andere als beiläufig war. |74|

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