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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Meine Mutter verstand erst gar nicht, was sie wollte, als meine Tante plötzlich sagte: »Ist Stephan ein Mister?« – »Wie meinst du denn das?« fragte meine Mutter, als ob sie baren Unsinn gefragt worden sei. Meine Tante nahm allen ihren Mut zusammen und fragte noch einmal: »Sagt man zu ihm Mister, wird Stephan mit Mister angeredet?« – »Ach Gott, das kommt darauf an«, sagte meine Mutter, immer noch sonderbar berührt, »in Amerika ist er halt Mr. Korn. Aber dort ist jeder Mann Mister, das ist doch selbstverständlich. Und hier ist er natürlich nicht Mister, er stammt ja von hier, er ist ein Frankfurter Bub.« – »Also hier nicht Mister«, wiederholte meine Tante.
    Plötzlich erwachte das Mißtrauen in meiner Mutter: »Wie kommst du denn auf so seltsame Fragen, wozu willst du das denn wissen?« Sie erhielt keine Antwort, meine Tante verließ das Zimmer und tat, als sei ihre Frage nur eine Laune gewesen. Mir aber war klar, warum meine Tante Stephans Anrede wissen wollte, denn ich hatte in ihre Briefmappe gesehen und entdeckt, daß sie dabei war, an Stephan einen Brief zu schreiben.
    Ich weiß nicht, was sie dazu gebracht hat, an Stephan einen Brief richten zu wollen. Sie hatte in diesen Tagen immer wieder Gelegenheit, ihn zu sehen, weil er seit der Würzburger Unternehmung häufiger kam. Er fragte sogar meine Mutter, ob er nicht Agnes einmal mitbringen könne, genaugenommen zum Nikolaustag, zu dem ihn meine Eltern um einen kleinen Dienst gebeten hatten: Er sollte einen furchtbaren Lärm an der Tür machen und dann einen Sack mit Geschenken ins Zimmer werfen. Wenn sich das Erstaunen der Kinder gelegt hatte, sollte er erscheinen und mit uns zu Abend essen.
    Meine Tante wurde nachdenklich, als Stephan darum bat, Agnes dabei zu haben, aber sie beruhigte sich sofort, als sie das ehemalige Kindermädchen sah und feststellte, daß sie eine alte Frau war, die kein anderes Interesse hatte, als mit meiner Mutter über die alten Zeiten zu sprechen, vornehmlich natürlich über den eichhörnchenhaften Monsignore, den sie zwar verlassen, aber niemals aus den Augen verloren hatte. Ich schließe aus der Tatsache, daß meine Tante am andern Morgen allein zu Stephans |75| Hotel ging, um seinen Schal, den er bei uns vergessen hatte, in der Rezeption abzugeben, daß sie bei dieser Gelegenheit auch den Brief für ihn abgegeben hat.
    Die fremde Handschrift auf dem Umschlag – meine Tante schrieb ihm zum erstenmal – wird ihn beunruhigt haben. Er mag sich plötzlich wieder in ihn ängstlich bewegende Zeiten zurückversetzt gefühlt haben, in denen im Hotel abgegebene Briefe Abschiedsbriefe sein konnten, obwohl ihm jetzt beim besten Willen niemand einfiel, der ihm den Abschied geben könnte. Es war vielleicht Stephans Angst vor großen Gesten, die ihn Briefe nur mit Schaudern aus der Hand eines Boten entgegennehmen ließ. Allein der Anblick eines uniformierten Menschen, der einen Brief übergibt, war ihm schon peinlich. Ein solcher Vorgang hatte für ihn etwas Zitathaftes. Er mußte an das Theater denken, wo überreichte Briefe zur rechten Zeit die Peripetie einleiteten oder zu Verwechslungen führten. Stephans beflissene Höflichkeit, sein bescheidenes Verhalten, sein Grauen vor den äußeren Zeichen der Leidenschaft dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß er sich mit niemals ruhender Sorge stets prüfte, ob die Situation, in der er sich befand, sich mit seinem Bild von sich selbst vertrug. Daß es sich bei dem Brief meiner Tante um den Brief einer Frau handelte, war an ihrer zierlichen, runden Schrift mühelos zu erkennen. Sie hatte im übrigen doch nicht unterlassen können, den Brief an »Mr. Stephan Korn« zu adressieren. Stephan mit »Herrn S. Korn« zu titulieren hätte ihn in ihren Augen eines Teils seines Zaubers beraubt. So dringt der Exotismus auch in die stillsten und demütigsten Herzen, wenn er Gelegenheit erhält, in Gemeinschaft mit etwas Demoralisierendem aufzutreten, wie mit der Liebe zum Beispiel.
    Seine Nervosität sollte Stephan nicht betrügen, allerdings nicht hinsichtlich des Briefes meiner Tante, die hinter einem so hohen Wall von Naivität lebte, daß sie vor vielen bösen Dingen bewahrt blieb und auch den andern Menschen nichts antun konnte. Was sich anbahnte, war durch die Ungeschicklichkeit meiner Tante unfreiwillig und bloß atmosphärisch angekündigt, wie denn für den Melancholiker leicht unwillkommene |76| Zwischenfälle Vorbedeutungen kommenden Unglücks enthalten, auch und gerade dann,

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