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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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verfehlt, denn sie gewährten ein vollkommeneres Vergnügen, als selbst eine weniger leidvolle Realität hätte bieten können. Stephan dachte nicht weiter an diesen Punkt, da es ihm nicht darum ging, Dr. Tiroler grundsätzlich zu widerlegen. Er hätte ihm natürlich sagen können, daß die Vorstellung, die sich Dr. Tiroler von der Natur der Gedanken machte, unvollständig war, wenn sie |83| die Geburten des Geistes immer nur in der Rolle von Antworten auf die mit Händen zu greifenden Vorgänge des Lebens sah. Auch Stephan fühlte, daß es Phantasien gab, die sich nicht als eine Vorstufe, als ein ausmalendes Planen für die Umsetzung in ein weltveränderndes Handeln betrachteten, sondern die sich selbst genügten, die schon fertig waren und die der Erde nicht bedurften, um wirklich zu sein. Wer aus Blütenträumen um jeden Preis irdische Äpfel gewinnen wollte, der tat in Wahrheit den Träumen Gewalt an und wunderte sich womöglich noch, wenn dabei uninteressante, geschmacklose und gewöhnlich wirkende Früchte herauskamen.
    Warum ärgerte er sich über die Ausdauer, mit der der gelehrte Gast den Salon seiner Mutter besetzt hielt? Stephan begann, die unmerkliche Voreingenommenheit gegen Dr. Tiroler zu empfinden, die ein Hausherr hat, der feststellt, daß ein mitgebrachter Gast nicht der eigenen Gesellschaftsklasse angehört, nur daß sich bei Stephan das Mißtrauen nicht an den asymmetrisch gemusterten Krawatten des Arztes entzündete, sondern an seinen Wörtern, die Stephan nicht nur häßlich fand, sondern in denen er auch einen geheimen Angriff auf die Konstitution seines eigenen Innenlebens vermutete.
    Monate später erst saß Stephan Korn in einem riesigen, mit englischem Blumenstoff bezogenen Sessel in Dr. Tirolers Arbeitszimmer und wartete auf den Arzt, während aus dem Obergeschoß der Villa das blutrünstige Gebell von Tirolers prachtvollem Dobermann herunterdrang. Stephan fürchtete dieses Tier so sehr, daß es ihm schwerfiel, an der Tür zu klingeln, weil er sich vorstellte, daß der Hund drinnen auf- und ablief, bereit, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Kehle durchzubeißen. Stephan konnte aber sicher sein, daß der Dobermann zu dieser vormittäglichen Stunde eingeschlossen war, weil der Briefträger sich nach einem lebensgefährlichen Angriff des Hundes weigerte, die Villa Tiroler weiter mit Post zu versorgen, wenn die Bestie frei herumlief.
    Die morgendliche Frühlingssonne beleuchtete das Zimmer, dessen Bibliothekswände männlichen Forscherernst bewiesen |84| und dessen einziger Schmuck in Tirolers gerahmten Diplomen, den Schwarzweißphotographien seiner Lehrer und einer Rötelzeichnung bestand, einem Jugendbildnis seiner Frau aus einer Zeit, als sie noch nichts von der fragmentarischen Ehe ahnte, die sie mit Tiroler führen sollte, und auch noch nichts von den glänzenden Tagen, die nach seinem Tod auf sie als Kuratorin der Henry Tiroler Foundation warteten. »Ach ja, die tausend Bücher«, sagte Dr. Tiroler in scherzhaftem Ton, da es sich um eine Untertreibung handelte, indem er auf Stephan zutrat und ihm die Hand gab. »Bei unsereinem gehört das Lesen eben zum Beruf. Sie haben sich umgesehen? Nein, hier gibt es keine persönlichen Gegenstände, bis auf meine kleinen Lieblinge hier vielleicht.« Er zeigte dabei auf eine Reihe von Tanagrafiguren auf seinem Schreibtisch und nahm dann die größte zwischen zwei Finger: »Und auch bei ihnen bin ich eigentlich gleich mittendrin in meinem Beruf, sehen Sie hier nur diese guterhaltene ›Diana von Ephesus‹ mit ihren vielen strotzenden Brüsten – ich brauche Ihnen doch nicht zu sagen, was das eigentlich bedeutet?«
    Stephan zuckte verständnislos mit den Schultern, aber Tiroler bekam von dieser resignierenden Geste, die seiner Frage ihren bloß rhetorisch gemeinten Charakter raubte, nichts mit, da er Mühe hatte, die große Diana ganz genau wieder an ihren Platz zu stellen. Er rückte das Figürchen hin und her und lief dann um den Schreibtisch herum, um von dort aus noch einmal die wiederhergestellte Ordnung zu begutachten. »Nehmen Sie Platz«, sagte er dann und setzte sich selbst vor das Fenster, um Stephan, vom einfallenden Licht beschienen, genauer betrachten zu können.
    Der Dobermann bellte immer noch. »Das ist ein stolzes, ungebärdiges Tier«, sagte Dr. Tiroler, »ein großartiger Beschützer. Haha! Der ist besser als eine Alarmanlage. Wissen Sie nicht, daß man neuerdings auf Ausstellungen mit kostbaren Sachen – Sie verstehen, Gemälde

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