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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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krisenhaften Niedergeschlagenheit und des Selbstekels bewahrt. Dr. Tiroler hatte dieses Konzept, dem er später einmal den viel beachteten Titel: ›Analyse ohne Ego-Kränkung‹ geben sollte, allerdings nicht ohne Not entwickelt. Er hatte festgestellt, daß unter seinen Nachbarn in Long Island sein Gewerbe mit wenig Sympathie betrachtet wurde, er spürte, daß seinen Freunden die Beschäftigung mit depressiven und verwirrten Menschen als |81| eine wenig optimistische Tätigkeit erschien, und er fühlte, daß man einer Methode in seinen Kreisen nur Achtung entgegenbringen würde, wenn sie auch sichtbare Erfolge zeitigte, und das war leider bei einem großen Teil der Menschen, die ihn in seiner Villa besuchten, nicht in der wünschenswerten Geschwindigkeit der Fall. Dr. Tiroler war eines Morgens mit dem festen Entschluß erwacht, seine Praxis von allen zähen Neurotikern zu befreien und künftig nur noch kerngesunde Patienten der Psychoanalyse zu unterziehen, und wenn dieses radikale Programm auch nicht vom einen auf den andern Tag zu verwirklichen war, begann er doch alsbald damit, bei seinen schweren Fällen die Analyse nur noch andeutungsweise fortzuführen, statt dessen Beruhigungsmittel zu verschreiben und zugleich überall in Wort und Schrift für die von ihm entwickelte Form der Seelenhygiene zu werben.
    Florence bewunderte seine Eloquenz und die angenehme Heiterkeit, mit der er problematische Details aus Stephans Leben entgegennahm. Es war Dr. Tiroler gelungen, Florence als ein Mann der Tat zu erscheinen, der auf schwierigem Territorium ihr selbst die Pflicht zum Handeln abnehmen konnte, ohne daß sie sich Vorwürfe zu machen brauchte. Was er ihr über Stephan und über die Regungen des Unterbewußten sagen konnte, war für Florence daher weniger eine Information über ihren Sohn als ein Teil der Zeremonie, in der sie dem Arzt wenigstens zeitweise den Marschallstab übergab: Er hatte seine Waffen gezeigt, er mochte sie ausprobieren.
    Dr. Tiroler bedauerte später, daß Stephan kein Freund zündender Diskussionen war. Er stellte fest, daß es schwierig ist, einen Menschen zu überzeugen, der seinen Zweifel zwar deutlich zeigt, der sich aber weigert oder auch einfach nicht imstande ist, seinen Widerspruch zu artikulieren. Stephan hatte eine Art, schweigend den Kopf ein wenig wegzudrehen und »tz, tz« zu machen, die die gute Laune Dr. Tirolers auf eine schwere Probe stellte. Tiroler ahnte nicht, wie früh schon Stephans Mißtrauen gegen ihn erwacht war. Damals hatte Stephan gerade erst seinen Intelligenztest, der in sachlicher Atmosphäre stattgefunden hatte und erfreulich |82| ausgefallen war, bei ihm gemacht und lag nun im Liegestuhl im Garten, während Florence und Dr. Tiroler im Salon in der Nähe der geöffneten Fenstertüren Tee tranken und über Verdrängungen und die Funktion der Phantasie als ungehemmter Wunscherfüllerin sprachen. »Der Wunschtraum ist nichts anderes als eine Ersatzbefriedigung«, sagte Dr. Tiroler mit erhobener Stimme, so daß Stephan draußen jedes Wort verstehen konnte.
    Stephan war nicht daran gewöhnt, theoretisch zu argumentieren, und er gab sich auch keine Mühe, den Widerstand, den er gegen diesen Satz empfand, zu ergründen. Er fragte nicht danach, was mit »Ersatzbefriedigung« eigentlich gemeint war, er empfand nur die pejorative Bedeutung des Wortes, die ja auch in anderen ähnlichen Wortverbindungen zum Ausdruck kam: Kaffee-Ersatz war eben nicht so gut wie Kaffee. Auf der andern Seite wußte er, daß er sich, wenn er im Bett lag, mit der Vorstellung, in einem Flugzeug zu sitzen und es vielleicht auch zu lenken, sehr viel Vergnügen machen konnte. Solche Bilder änderten seine Laune alsbald zum Besseren und waren das sicherste Mittel gegen die Langeweile. Er hatte wirklich keinen Grund, auf die Träume herabzusehen, vor allem, wenn er sich ins Gedächtnis rief, welche Qualen er immer auf dem Sportflugplatz gelitten hatte bei der sinnlosen Warterei in der Halle, der anstrengenden Kameradschaftlichkeit der Flugschüler, bei dem Benzin- und Ölgestank, und welche Ängste ihn befallen hatten, wenn er sich im Cockpit so ungeschickt anstellte, daß das Flugzeug hin- und herwackelte, so daß er glaubte, es würde abstürzen, und den Steuerknüppel zitternd dem grinsenden Fluglehrer abtrat, der die Maschine dann wieder auf den Boden brachte. Wenn die Träume ihm also über die fehlerhafte Wirklichkeit hinweghalfen, dann hielt Stephan jedenfalls den Ausdruck »Ersatz« für sie für

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