Das Bett
oder Schmuck – auf herkömmliche Bewachung fast ganz verzichtet und einfach einen Dobermann im Ausstellungsraum einschließt? Der geht ohne Vorwarnung auf jeden Einbrecher los und beißt ihn einfach tot.«
|85| Dr. Tiroler lachte so sehr, daß ihm entging, wie sich Stephans Gesicht bei diesen Worten veränderte. Wenn er empört war, blies er verlegen die Backen auf und sah aus wie ein Säugling, der vor Ekel gleich anfangen wird zu weinen. Ein Schauder überlief ihn, wenn er sich vorstellte, wie der alleingelassene Köter seinen Haufen unter einen Dürer machte oder wie er einen elegant schwarz vermummten Einbrecher mit Turnschuhen in der Mitte des Saales unter der wehrlosen und stummen Zeugenschaft der Bilder zerfleischte.
Stephan hatte sich niemals ernsthaft mit Malerei befaßt. Dennoch gab es Bilder, die ihm gefielen, wobei die heitere Malerei, die in den Salons seiner Eltern hing, seit dem Krieg nicht mehr dazu gehörte. Sein Aufenthalt in Frankreich hatte ihn gelehrt, daß die malerisch unordentlichen Frühstückstische, auf denen die Sonnenflecken sich bewegten, die altmodischen Fenstergitter und die weißen Musselingardinen, die Waschschüsseln und die Gartenbänke keine Erfindung einer dekorativen Phantasie waren, sondern dort gelegentlich wirklich vorkamen. Diese Motive glichen ihm seitdem ein wenig zu sehr der Natur. Aber was gefiel ihm an dem einen Bild, und wovor grauste ihm bei dem andern? Er wußte es nicht, selbst wenn er sagen konnte, daß ihm hier die Haut zu rosa und das Haar zu gelb war oder dort die Berge in so schönem Licht lagen und die Bäume so gut gezeichnet waren.
Auch für Dr. Tiroler war die Beschäftigung mit der Malerei und insbesondere mit der ihn zunächst sehr bewegenden surrealistischen Strömung nicht frei von Enttäuschungen geblieben. Es sah zunächst so aus, als ob sich die Bilder des Surrealismus, die Tiroler in New York kennenlernte, geradezu danach sehnten, von ihm einer ärztlichen Interpretation unterzogen zu werden; fast schien es ihm, als müßten die Werke und seine Deutung unzertrennliche Zwillinge sein, die einander notwendig ergänzten, und er begann, Artikel zu schreiben und Vorträge zu halten, die von dankbarem Schwung erfüllt waren, weil sich die neue Kunst so entschieden seinem Fach zugewandt hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm der Spaß am Surrealismus durch die Entdeckung verdorben wurde, daß es nicht besonders |86| viel Ruhm brachte, auf Bildern Phallussymbole zu entdecken, wenn sie von den Malern wissentlich dort angebracht waren.
Dennoch war sein Interesse an der Kunst, die ihn früher wenig beschäftigt hatte, nach diesem Flirt mit einer modernen Bewegung geweckt. Er machte allerdings nicht noch einmal den Fehler, sich mit Meistern der Ölmalerei zu befassen, deren Œuvre sich einer allgemeinen Aufmerksamkeit erfreute und bei denen es schwierig war, ein überraschendes Urteil abzugeben. Nicht ohne einen rankünehaften Seitenhieb auf die Surrealisten erklärte er nun in einer weithin beachteten wissenschaftlichen Publikation, daß das, was dem Publikum üblicherweise als vollendetes Werk vorgestellt werde, in Wahrheit nichts anderes sei als der Sieg eines kollektiven Über-Ichs über die sogenannte spontane, jedenfalls unterbewußte Geste.
»Ist Vollendung Lüge?« fragte Tiroler, und es war nur folgerichtig, daß diese Frage schließlich zustimmend beantwortet wurde. Statt dessen rühmte er die Skizze, in der sich, wie er schrieb, ohne zu bedenken, was er sonst über das Unterbewußte sagte, »das unbewußte Wesen des Menschen in rührender Jungfräulichkeit« zeige. Er vertrat deshalb die These, daß nur derjenige Künstler überhaupt zu beurteilen sei, der geheimgehaltene Skizzenbücher, in Wahrheit Sudelbücher, hinterlassen habe.
Stephan stellte für ihn keinen ganz einfachen Fall dar. Dabei war Tiroler sich nach einer Kurzdiagnose, die er üblicherweise gleich bei der ersten Begegnung mit dem Patienten zu stellen pflegte, schon klargeworden, daß Stephan strenggenommen nicht zu seinen Patienten gehören dürfte. Ein Unheilbarer, dachte Tiroler, als er ihn zum erstenmal sah, und das war diesmal ausnahmsweise nicht in seinem Sprechzimmer, sondern bei Florence zur Teestunde in ihrem sonnigen Salon.
Das erschreckende Urteil war übrigens auch nach Tirolers eigenen Überzeugungen nicht absolut zu nehmen. Der Ausdruck stammte in diesem Fall aus seiner geheimen Privatterminologie und bedeutete nichts anderes, als daß Tiroler befürchtete, bei
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