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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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davon, welche Freude es mache, immer wieder junge Menschen heranwachsen zu sehen und ihre Entwicklung zu leiten. Sie erwähnte die schönen gebastelten Jahrgangsgeschenke, die Karten mit den vielen Unterschriften und die gemeinsamen Ausflüge auf Berge, auf denen in hölzernen Tempelchen Fernrohre standen. Daß das Leben |137| keiner ihrer Schülerinnen auch nur im geringsten von der Schule berührt oder gar beeinflußt wurde, von der Belästigung abgesehen, die sich aus der Pflicht ergab, allmorgendlich im Gymnasium zu erscheinen, war ihr entgangen. Sie hing immer noch Idealvorstellungen von fesselnd gestalteten Unterrichtsstunden nach, und der Verlust dieses Ideals wurde ihr vor allem deshalb erspart, weil es ihr selbst niemals gelang, die Schülerinnen auch nur annähernd ruhig zu halten. Die Infantilität, in der die Institution Schüler und Lehrer gleichermaßen hielt, mit ihrem stumpfsinnigen Rhythmus der Klassenarbeiten und Prüfungen, die allen Ernstes vorgaben, wichtige Stationen des Lebenswegs zu sein, hatte in der Tat für meine Tante nur gute Seiten. Sie ermöglichte ihr die Vorstellung, trotz ihrer Unwürdigkeit zu einem ernsten Dienst berufen zu sein, dem sie nur deshalb nicht mit voller Kraft nachkommen konnte, weil sie sich wie einst der Gralskönig Amfortas durch die Sünde der Stärke beraubt hatte. Obwohl ihr ihre Verlorenheit dort besonders ins Auge springen mußte, hielt sie sich gern in Nonnenklöstern oder Ordenshäusern auf. Sie hatte auch Freundinnen dort, die sie einluden, ihre Ferien bei ihnen zu verbringen, und so war sie zu einem stillen Anhängsel des Klosters Eibingen geworden, ohne jemals in Betracht zu ziehen, dort etwa eintreten zu dürfen.
    Ich erinnere mich, daß wir meine Tante einmal im Kloster abholten, als wir einen sonntäglichen Ausflug bis an die Grenzen des Rheingaus ausdehnten.
    Das Kloster hatte ich damals schon oft von weitem liegen sehen, seinen langgestreckten Wohntrakt mit den vielen Fenstern und der Kirche an der Nordseite. Über den Gebäuden hing immer ein leichter Dunst, der die Details verbarg und nur Umrisse heraushob. Das Kloster lag auf halber Höhe inmitten der Weinberge, und ich stellte mir vor, daß eben jetzt, wo wir es betrachteten, meine Tante an einem der Fenster stand und zu uns herübersah. Von nahem erkannte man, daß die Gebäude nicht alt waren, ein neuromanischer Bau war auf den Grundmauern eines alten Klosters errichtet worden.
    Meine Eltern amüsierten sich über diesen Stil und zeigten |138| sich erheiternde Einzelheiten. Ich war bewegt von der Fülle der Muster, der Wandbilder, der Statuen, die allesamt einen Spinnwebton hatten, der sie rätselhaft alt erscheinen ließ, als sei beim Malen feiner Staub in die frische Farbe gemischt worden.
    An der Klosterpforte empfing uns eine fröhliche, große Ordensfrau, die uns erwartete und durch kahle, weiße Korridore in das Besuchszimmer führte. Meine Mutter zeigte mir unterwegs immer wieder die kleinen Topfpflanzen, die auf bunten Deckchen auf den Fensterbrettern standen. »Siehst du, das müssen die Nönnchen haben. Diese Pflanzen gibt es überall, wo Nönnchen am Werk sind«, flüsterte sie mir zu, und ich prägte mir die schmalblättrigen Rispen genau ein, um sie später wiedererkennen zu können, wenn es einmal darum gehen sollte, Nonnen noch vor ihrem Erscheinen rechtzeitig zu erahnen.
    Das Besuchszimmer war wie in einem Gefängnis durch ein Gitter geteilt. Auf der anderen Seite der Stäbe öffnete sich plötzlich die Tür, und zwei Nonnen kamen herein. Die eine trug ein großes Buch, die andere war an Ring und Kreuz als Äbtissin zu erkennen. Die Äbtissin hielt ihre Hand durch das Gitter hindurch, damit wir den Ring küssen konnten, dann zog sie ihn ab und gab ihn mir zum Ansehen. Das große Buch wurde aufgeschlagen, und die Äbtissin wendete mit spitzen Fingern langsam die dicken Pergamentseiten, die reich bemalt und beschrieben waren. Dies Buch enthielt alle Geheimnisse der Welt, es hieß ›Wisse die Wege‹ und wurde seit langem von den Nonnen von Eibingen bewacht. Ich dachte mir, daß jeder, der vor einer schwierigen Entscheidung stand, hierher fuhr und sich das Buch ansah, um Rat zu holen. Dieses Buch las man nicht. Um daraus zu schöpfen, genügte es, wenn es von der schwarz verhüllten Wächterin geöffnet und aufgeblättert wurde.
    Auch mein Vater las es nicht, sondern betrachtete die Seiten schweigend, und sogar meine Mutter verstummte allmählich und sprach nicht mehr über das, was

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