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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Impressionistensammlung kannte und der hinter Stephans Dialekt ein raffiniertes Camouflagemanöver vermutete. Das Frankfurterische war in den Ohren meiner Mutter ein Indiz für Provinzialität, Naivität und einfache Verhältnisse, und diese Gewißheit war so groß, daß Stephans kostbare Anzüge, seine unauffälligen Manieren und sein Geld sie nicht einfach korrigieren konnten. Er war ein lieber, nicht sehr lebhafter Frankfurter Bub für sie. Fortwährend entdeckte sie Frankfurter Eigenschaften an ihm und spielte ihn gern meinem Vater gegenüber als Prototyp der kleinen Leute mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrem herzlichen Gefühl aus. Nachdem sie auch noch die amerikanische Stimme seiner Mutter gehört hatte, übrigens ohne zu bemerken, welch geschliffener Redewendungen Florence sich bediente, war die Vorstellung, die sie vom Milieu der Korns hatte, perfekt. Sie erwartete zum Mittagessen eine rosa und hellblau geschminkte Amerikanerin mit einem Photoapparat, die Coca-Cola verlangte und der man weismachen konnte, auch das Heidelberger Schloß sei von den Amerikanern zerstört worden. Während sie mit meiner Tante die Vorbereitungen besprach, konnte sie sich nicht enthalten, ein Essen zu beschließen, das einen gewissen Triumph über das amorphe Amerika enthielt, auch wenn Florence das vermutlich nicht bemerken würde. Meine Mutter wollte eine Frankfurter Grüne Sauce machen, und sie fühlte sich, wenn sie sich Florence dabei vorstellte, beinahe wie eine Frankfurter Patrizierin. »Petersilie, Schnittlauch, Borretsch, Pimpernell, Kerbel und Sauerampfer«, erklärte meine Mutter meiner Tante mit strengerer Miene, als diese jemals ihren renitenten Schülerinnen die Anwendungsfälle des Subjonctif aufgezählt hatte. »Und noch ein siebtes Kraut.« »Dill vielleicht?« fragte meine Tante. »Aber woher denn Dill«, sagte meine Mutter, »Dill ist streng verboten. Du bist eine richtige Junggesellin, die nur Butterbrot ißt; Dill schmeckt doch vor.«
    Dann machte sie sich an das Kleinhacken der Kräuter und ließ meine Tante allein über das siebte Kraut nachdenken, denn meine Mutter kaufte die Grüne Sauce stets fertig zusammengestellt |144| beim Gemüsehändler und hatte sich noch nie darum gekümmert, was in diese Sauce klassischerweise eigentlich alles hineingehöre.
    Sie hatte ein gespaltenes Verhältnis zur feinen Küche. Meine Mutter ließ sich keinen Augenblick entgehen, in dem sie davon erzählen konnte, daß meine Großmutter als junges Mädchen eigens nach Belgien geschickt worden sei, um sich in einem Institut über die Organisation der französischen Küche zu instruieren. Sie habe ihr Wissen selbstverständlich an ihre Töchter weitergegeben, die alle schon immer gewußt hätten, was gutes Essen sei. Eigentümlicherweise hatten diese Regeln ihre Gültigkeit in den Wechselfällen der neueren Geschichte verloren. Sie war wie die Handwerker, die Schreiner und Schneider, Anstreicher und Schuster, bei denen man eine Arbeit reklamiert und die den Weltfremden daraufhin nachsichtig angrinsen und sagen: »Ja, früher hat man so was noch so gemacht; des macht man ja heut all net mehr.«
    Niemals hätte sie sich bereit gefunden, irgendeine Speise in der Art ihrer Mutter zu bereiten. Die zahlreichen alten handgeschriebenen Zettel, die in ihren Kochbüchern steckten, waren unnützer als der Bronzeknabe aus dem elterlichen Salon, der schließlich auf den Müll gefahren worden war. In den Zeiten, in denen sie dann doch ein schlechtes Gewissen wegen ihres Kochens überkam, erklärte sie meinen Vater zum Schuldigen für den Verfall unserer Küche: Er esse am liebsten grobe und fette Speisen, er schlinge in sich hinein, ohne wahrzunehmen, was eigentlich auf dem Tisch stehe, sie koche in zwei Stunden, was er dann in fünf Minuten in sich hineingestopft habe, da mache das Kochen nun einmal keinen Spaß, kurzum, sie verwandelte meinen Vater, dessen kleine Hände in seinem ganzen Leben niemals etwas Schwereres als ein Buch gehalten hatten, in einen stumpfen Kannibalen, nur um sich zu erklären, warum sie die Nachfolge ihrer Mutter in der Kochkunst nicht angetreten habe. Wenn sie übrigens bei anderen Leuten aß, erwachte ihre kulinarische Erbmasse zu einem nicht ganz ungefährlichen Leben. Ihr Urteil war dann von unbarmherziger Strenge, und die |145| Schilderungen eines auswärtigen Essens waren eine reiche Verbindung von schauspielerisch vorgetragenen Ekelbekundungen und den tiefernsten Prophezeiungen der verheerenden

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