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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sagte Stephan voll Nachsicht, indem er neuen Schaum für die zweite Phase der Rasur schlug. »Sagen wir zwischen dreißig und vierzig, sagen wir besser zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig – das sind die Richtigen, wenn man mit Frauen zu tun haben will, ohne dabei Kopf und Kragen zu verlieren.« Wenn man die Aufrichtigkeit eines Ratschlags daran messen will, ob sich der Ratgeber selbst an seine Lehren hält und mit dem Rat auch eigene Erfahrungen verbinden kann, dann war Stephans Empfehlung aufrichtig. Er sprach mit seinem Spiegelbild über eine Materie, die ihm bekannt war, obwohl er vielleicht nicht hätte sagen können, ob die Tatsache, daß die Frauen, die er kannte, immer um die vierzig |131| waren, seinen Plänen entsprach oder Gründe hatte, die seinem Willen entzogen waren. Stephan sagte die Wahrheit, aber er sagte sie in einem Ton, der sonst gar nicht sein Stil war. Er hatte eine vage Vorstellung vom französischen Esprit und von Bonmots, die Aristokraten auf den Stufen des Schafotts aussprachen, und er erlaubte sich in dieser morgendlich intimen Atmosphäre eine Attitüde, wie er sie bei den Marquis der Ufa-Filme beobachtet hatte.
    Mancher, der eine gereizte Abneigung gegen jeden falschen und sentimentalen Theaterton zur Schau trägt, hat eine geheime Liebe zur Schmiere. Auch Stephan hatte eine Ader für alle verborgenen Attraktionen der Geschmacklosigkeit, denen er sich hemmungslos jedoch nur überließ, wenn er morgens im Badezimmer mit sich allein war.
    Beginnen wir bei der Leidenschaftlichkeit dieser Frauen! dachte Stephan und erinnerte sich an die Maxime La Rochefoucaulds, die er in einem Digest unter der Kurzbiographie der Schwester Florence Nightingale gelesen hatte: »Diese Liebe zur Liebe – das ist unbezahlbar. Es gibt da eine gewisse – wie sage ich es – Hemmungslosigkeit, Obsessionen, l’amour fou ...« Stephans Haut war nun glattrasiert, brannte aber empfindlich, weil er sich mit der allzu neuen Klinge malträtiert hatte. Eine heiße Kompresse sollte helfen, und deshalb befeuchtete Stephan ein kleines, frisches Handtuch mit fast kochendem Wasser aus der Leitung. Während er sich die Kompressen um die Wangen legte und ihm die Tränen vor Hitze in die Augen sprangen, fügte er ein Schlußwort für sein Gegenüber an, das mit geröteten Augen aus dem Spiegel heraussah. »Das alles ist jedoch nicht das Entscheidende«, sagte Stephan, »aber was ist das Entscheidende? Eine hübsche Frau über dreißig ist entweder verheiratet, oder sie hat einen Beruf. Und was bedeutet das? Sie hat keine Zeit. Ihre wichtigste Eigenschaft ist, daß sie keine Zeit hat. Hüte dich im Leben vor einer einzigen Sache, wenn du nicht unglücklich werden willst: Fang niemals etwas mit einer Frau an, die Zeit hat. Sonst bist du verloren.«
    Obwohl bei der morgendlichen Rasur nicht nur jedesmal ein |132| Tour d’horizon abgehalten wurde, sondern auch Einzelfälle zur Sprache kamen, dachte Stephan dabei niemals an meine Tante. Sie war wohl kein Rätsel für ihn und außerdem viel zu unkokett. Sie verbarg sich nicht genügend, als daß ihre Entschleierung zu den souveränen Vergnügungen dieser Spiegelfechtereien hätte gehören können. Der einzige Mensch, dem sie sich je verborgen hatte, war sie selbst, und sie ahnte noch nichts von den Qualen, die ihr bevorstanden, wenn man ihr die Augen öffnen und sie zwingen würde, sich anzusehen und dabei zu erfahren, daß sie nun etwas sah, das jedem außer ihr längst bekannt war. Was hatte sie Stephan eigentlich geschrieben in dem Brief, der ihn so ärgerlich machte und der seiner Mutter so aufschlußreich erschien, daß sie ihn mitnahm, um mit Ines Wafelaerts in Ruhe darüber sprechen zu können?
    Für jeden, der nicht in der Haut der Schreiberin, des Empfängers und der heimlichen Leserin steckte, wäre dieser Brief eine Enttäuschung gewesen, ein Schriftstück, dem nichts zu entnehmen war. Meine Tante sagte zu Stephan sogar noch »Sie« in den wenigen Zeilen einer unschuldigen Anknüpfung an die beiläufige Begegnung des vergangenen Tages. Ihr Dank, daß sie mit nach Würzburg hatte fahren dürfen, wäre allenfalls einem Mitglied meiner Familie als überschwenglich aufgefallen, denn in unserer Verwandtschaft achtete man auf seine Worte und hütete sich, allzuviel Herzlichkeit in sie zu legen oder sie wenigstens sogleich wieder zu entschärfen.
    Für Außenstehende war dieser Dank Zeugnis dafür, daß meine Tante den Ausflug nach Würzburg als großes Erlebnis

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