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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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betrachtet hatte, daran war nichts Verfängliches. Es folgte die Annahme des Vorschlags, für ihre Heimreise Gebrauch von Stephans Wagen zu machen. Auch der Hinweis, sie habe sich nicht gleich getraut, solch ein Angebot anzunehmen, verbunden mit der Entschuldigung für ihr Zögern, hatte nichts Auffälliges, außer daß sprachlich nicht ganz klar war, ob man diese Reise zusammen antreten oder ob meine Tante allein mit dem Chauffeur fahren werde. Zum Schluß kamen Sätze, die in einer anderen Handschrift geschrieben waren als die vorher in einem Guß flüssig |133| geschriebenen Zeilen. Man merkte, daß die Schreiberin die Feder lange abgesetzt hatte. Es sah aus, als habe sie erst Stunden später weitergeschrieben. Die Schrift stand in einem anderen Winkel, und die einzelnen Wörter hatten keinen rechten Zusammenhang, weil offensichtlich immer wieder kleine Pausen dazwischengelegt worden waren: Die Schreibende hatte sich auf einmal auf dem Papier bewegt wie ein Mensch, der auf einem zugefrorenen Teich immer vorsichtigere Schritte macht, seit er spürt, wie dünn das Eis ist, auf dem er sich bewegt. Er bleibt oft stehen und horcht furchtsam auf das Knistern der Eisfläche, die ihn jetzt noch trägt, sich aber beim nächsten Schritt schon öffnen kann, um ihn dem schwarzen Wasser auszuliefern.
    »Sind Sie noch böse, daß ich so ungeschickt war?« hatte meine Tante schließlich geschrieben und damit wohl auf irgend etwas angespielt, das sich unseren Augen entzogen hatte, als sie mit Stephan zusammen den Schloßplatz besichtigte.
    Der demütige Ton, der in diesen wenigen Worten lag, rief in Florence ein Unbehagen hervor, das zugleich ihr Interesse für die Schreiberin weckte. Da es für sie nichts Fremderes und Ferneres gab als die Demut, fürchtete sie deren Erscheinung, wenn sie nur am Rande ihres Gesichtsfeldes auftauchte. Sie fühlte sich wehrlos der Demut gegenüber und hoffte zugleich, daß sie weniger rätselhaft sein würde, wenn man ihre Motive enthüllte, wie man einen Zaubertrick entlarvt, der die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheint, dessen Gelingen in Wahrheit aber von eben dieser Schwerkraft abhängig ist – vielleicht würde bei der Demut nach scharfer Durchleuchtung doch wieder der alte Egoismus tröstlich herauskommen? Sie glaubte sofort, daß sie sich vor meiner Tante hüten müsse, obwohl sie sie noch gar nicht kannte. Wer wußte genau, welche Mittel diese Frau besaß? An Florence gemessen, konnten diese Mittel nur bescheiden sein. Und doch – kam es darauf überhaupt an? Ihre Klugheit hatte sie gelehrt, daß die Menschen, und sie nahm Stephan nicht aus, niemals ungerechter und planloser waren als bei ihren Sympathien und Abneigungen. Jeder war bereit, außerordentliche Eigenschaften eines anderen gering zu achten oder gar nicht erst wahrzunehmen |134| und dafür das Fehlen einer Dutzendeigenschaft laut zu monieren. Bei aller Eigenliebe ging sie daher davon aus, daß ihre bemerkenswerten Fähigkeiten ihr keinen Menschen zurückbringen konnten, den sie durch einen moralisch verzeihlichen und ästhetisch unbedeutenden Charakterfehler verloren hatte. Nicht anders verhielt es sich umgekehrt mit der Eroberung eines Menschen: Hier fiel eine reizende Stupsnase erheblich mehr ins Gewicht als Intelligenz, Anstand oder Großherzigkeit. Florence hatte sich die Maxime zu eigen gemacht, daß es in der Liebe keine ungefährlichen Feinde gebe, ein Satz, den sie übrigens ganz ohne empirische Forschung gefunden hatte und der offenbar doch anwendbar war. Mit Verwunderung stellte sie fest, daß meine Tante schon zu ihrer Feindin geworden war, und sie fragte sich mit einem verlorenen Lächeln, was Dr. Tiroler wohl zu ihrer Gefühlsaufwallung sagen würde, wenn sie ihn anriefe, um sich mit ihm zu beraten.
    Ines hatte das Briefchen inzwischen ebenfalls gelesen. Sie hatte es mit großer Neugier und anzüglichem Schmunzeln entgegengenommen, dann aber voller Enttäuschung wieder weggelegt, weil sie nicht wußte, was sie Besonderes daran finden sollte. Florence genierte sich jetzt vor ihrer Freundin und versuchte, ihr zu erklären, was sie daran so erregte: »Du ahnst nicht, wie gefährlich so etwas für Stephan werden kann«, sagte sie in apologetischem Eifer, der ihre Scham verdecken sollte. »Stephan ist in einer depressiven Krisis! Wenn er jetzt in die Hände einer anlehnungsbedürftigen, dummen Pute fällt, die ihn als den großen Mann anstaunt, ist er verloren.«
    »Da ist doch noch gar nichts vorgefallen

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