Das Bett
Florence übrigens nichts gegen die Grüne Sauce einzuwenden. Sie glaubte lediglich, sie unter all den französischen und italienischen Kräutersaucen, die sie kannte, wegen ihres hohen Fettgehaltes am schlechtesten zu vertragen.
»Ich bin Ihnen allen so dankbar, daß Stephan durch Sie ein bißchen herauskommt«, sagte Florence nach einer Weile absichtsvoll undeutlich, denn sie wollte herausfinden, was wir über Stephan erfahren hatten, und sie wollte auf jeden Fall vermeiden, sich durch das Aufrechterhalten einer Façon de parler in einem Kreis lächerlich zu machen, der vielleicht alles viel besser und seit eh und je wußte. Daß sie, wenn sie sprach, durch mich hindurchsah, als säße ich gar nicht am Tisch, war mir angenehm, ihr erster Blick war mir noch in Erinnerung. Daß sie jedoch auch vermied, meine Tante anzusehen, war schon auffälliger, denn meine Tante saß neben mir, und so entstand ein großes Stück Fläche, das Florence aussparen mußte, wenn sie nicht in unsere Augen sehen wollte.
Um so überraschender war es, als sie plötzlich mit überschäumender Liebenswürdigkeit meine Tante ansah und sagte: »Es war herrlich in Würzburg, nicht wahr?« Meine Tante ließ ihre Gabel sinken und wurde blutrot. Florence verzichtete darauf, den Erfolg ihrer Worte zu besichtigen, ja, auch nur eine Antwort abzuwarten, und wandte sich mit steifem Oberkörper meinem Vater zu, der ihr von Würzburg zu erzählen begann und sie damit für sich einnahm, denn obwohl ihr das Barock, der Zustand einer deutschen Stadt und der fränkische Wein herzlich gleichgültig waren, entdeckte sie in seiner Schilderung Spuren einer Beredsamkeit und einer Erlebnisweise, die sie zum erstenmal bei Dr. Tiroler kennengelernt hatte. Es gab weiß Gott viele intelligente |150| und gebildete Männer in der Welt, aber doch nur wenige, die einen mit ihrer Bildung nicht vergrätzten, und bei Tiroler und auch bei meinem Vater schätzte sie, daß sie ihr Wissen in einer antithetisch gegliederten Rhetorik zum besten gaben, die es ihr ermöglichte, sich ihnen, wenn schon nicht an Bildung, so doch an geistiger Brillanz gleichzufühlen.
Um meiner Tante das Essen zu verderben, wäre freilich weniger nötig gewesen als die spitzen Bemerkungen des amerikanischen Gastes. Seit langem schon betrachtete sie das, was auf ihrem Teller lag, teilnahmslos. Es dauerte oft nicht lange, bis sie ein Gedanke befiel, der ihr die Kehle zuschnürte, und dann waren ihre kleinen Mahlzeiten bald beendet. Ihr waren sogar die romantischen Aspekte des Essens fremd geworden, die meine Mutter bei all ihrer Gleichgültigkeit in bezug auf die Küche noch pflegte. So spielte es für meine Mutter, anders als für Florence und Willy, eine große Rolle, daß sie die Gemüse der Jahreszeiten aß, als ob sie noch in einer Welt lebte, die vom planvollen Wandel der Natur bestimmt wurde. Es war für meine Mutter wichtig, die ersten neuen Kartoffeln abzuwarten, den Spargel nach und nach aus den Gegenden, die die Stadt umgaben, zu beziehen, in denen er gerade jetzt am besten war – wir aßen hintereinander Schwetzinger, Mörfelder und Ingelheimer Spargel –, zur Erdbeerzeit nach Eschborn hinauszufahren, wo Händler, die mehr Gärtner als Bauern waren, die verschiedenen Sorten am Straßenrand anboten. Meine Mutter wartete dann auf das Obst, um den Rumtopf anzusetzen, und begleitete auch dessen verschiedene Phasen mit gewichtigen Reden. Dieser Rumtopf war von doppelter Bedeutung, weil er nicht nur zu einer bestimmten Jahreszeit angesetzt werden mußte, sondern auch zu einer anderen bestimmten Jahreszeit wieder geöffnet wurde, zur Zeit der Treibjagden, die die Wildhandlungen mit frisch geschossenem Wild versorgten. Die Plätzchen, das Quittenbrot und die Gans, der Karpfen und der Grünkohl, die Apfelsinen und die Nüsse waren für sie die Attribute des Winters, die sie eben weniger ihrer Qualität als ihres in dieser Jahreszeit zwangsläufigen Auftretens halber schätzte. Wer weiß, ob dies Festhalten an den Eßgewohnheiten der Jahrhunderte |151| vor unserer Zeit nicht auch noch einen tieferen Grund hatte als den kleinen Kult des Kennertums, den meine Mutter mit ihren Gemüsen trieb. Sie gehörte zu den Menschen, bei denen man es für möglich halten konnte, daß ihr unbewußtes Gedächtnis bis tief in die numinosen Zeiten des Heidentums hinein reichte, in ein Zeitalter, in dem die Völker die Primeurs ihrer Ernten und Jagden den Göttern opferten, um sich hernach an den festlichen Verzehr der
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