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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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dabei Mrs. Korn mit zusammengebissenen Lippen anblickte. Florence sah sich um: Hier also war ihr Sohn regelmäßig zu Gast. Ich folgte ihrem schnellen Blick, mit dem sie meine Eltern, meine Tante und mich unauffällig musterte und unter dem meine Eltern für mich plötzlich zu wildfremden Leuten wurden, die Wohnung, die ich bisher jeder ästhetischen Klassifizierung enthoben glaubte, dürftig und ungemütlich wirkte, meine Tante eine verblühende alte Jungfer war und ich selbst mich schlecht gewachsen und gekleidet fühlte.
    Natürlich dauerte dieser Augenblick nicht lange, nicht länger jedenfalls, als wir sonst zu Tisch gebetet hätten, was wir heute, um Schwierigkeiten zu vermeiden, unterließen, da mein Vater die Auffassung vertrat, die Frömmigkeit dürfe keinen demonstrativen Charakter haben, und meine Mutter sicher vermutete, daß Florence beim Anblick des Kreuzzeichens erbleicht wäre. Dieser kurze Augenblick des Schweigens, in dem Florence von ihrer neuen Umgebung Kenntnis nahm, wurde durch das Hinsetzen abgeschlossen, während alle auf einmal zu reden begannen. Sogar meine Tante mußte nun sprechen und richtete zu diesem Zweck das Wort an mich. Da ich ihre Not fühlte, verzieh ich ihr zum erstenmal ihre Art, mich durch ihre Fragen als kopfloses Kleinkind zu behandeln.
    Florence ließ eine kleine Bemerkung fallen, die meine Mutter endgültig ratlos machte, indem sie einfließen ließ, daß sie den Vormittag bei Ines Wafelaerts zugebracht habe. Sie rechnete damit, daß der Name ihrer Freundin noch den abenteuerlichen Klang der Vorkriegszeit habe. Meine Mutter verstand nun gar nichts mehr: Was konnte denn dies Urbild der furchteinflößenden Millionärin, das Stephans Mutter nunmehr für sie darstellte, bei dieser halbverrückten, geschmacklosen alten Vettel wollen? Am Erstaunen meiner Mutter zeigte sich, wie sinnlos und verkehrt |148| sich eine abgeschlossene Welt, die von außen betrachtet wird, für den Beobachter darstellt, der nicht in der Lage ist, alle ihre Phänomene zu erfassen, sondern der sich an dem zu orientieren versucht, was ihm bekannt vorkommt, und das übrige überhaupt nicht wahrnehmen kann. Meine Mutter sah, daß Florence reich, streng, von befremdlicher Liebenswürdigkeit, von einschüchternder Selbstverständlichkeit war, und sie vermutete, daß sie die Sittenstrenge einer viktorianischen Romanfigur hatte. Ines Wafelaerts hingegen war arm, war angezogen wie die klimakterische Zigeunerin an einer Zirkuskasse, war Abenteurerin und zu ihrer Zeit wahrscheinlich eine hemmungslose Nymphomanin gewesen, wenn den Berichten über die Reden, die sie im Roten Kreuz zu führen pflegte, Glauben zu schenken war. Was meine Mutter nicht sehen konnte, auch wenn sie die beiden einmal zusammen erlebt hätte, war die Verwandtschaft, die in der Sprache beider Frauen lag, ihre eigentümliche Forschheit, die bei Florence kühlere Züge hatte, bei Ines jedoch gröber ausfiel und deren Wurzel keineswegs in einem verwandten Charakter lag, sondern in einem gemeinsamen gesellschaftlichen Ideal, das aus den Umkleideräumen angelsächsischer Colleges stammte und den romanisch-katholischen Takt nach und nach aus dem nördlichen Europa vertrieben hatte.
    Die Art, wie Florence und Ines sich küßten, indem sie die Köpfe vorstreckten und dabei innig »Mhm!« machten, zugleich aber peinlich vermieden, sich mit den Lippen zu berühren, war ein ebensolches Symptom, das meiner Mutter entgangen wäre, und die Schamlosigkeit bei der Schilderung der erotischen Erlebnisse, die mit einer hochsensiblen Diskretion einherging, wenn das Thema Geld hätte berührt werden können, wäre meiner Mutter endgültig ein Rätsel gewesen. So entging ihr, daß sich die beiden Frauen nur in den unwichtigsten, nämlich den individuellen Eigenschaften unterschieden, nicht hingegen in den Abzeichen ihrer Gruppe, die haltbarer schon allein deswegen sind, weil sie den Tod des einzelnen Menschen überleben.
    »Willy liebt das«, sagte Florence, als ihr die Schüssel angeboten wurde, und gab einen Löffel voll Grüner Soße auf den linken |149| Tellerrand. »Ach, das kennen Sie schon?« fragte meine Mutter mit einer leichten Enttäuschung, obwohl sie doch genau wußte, daß Florence wer weiß wie lange in Frankfurt gelebt hatte. Aus irgendeiner phantastischen Vorstellung heraus hatte sie jedoch geglaubt, daß sich die wahren Attraktionen eines Ortes auch lang ansässigen Fremden stets verborgen halten. Trotz ihres zweideutigen Kompliments hatte

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