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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Folgen eines solchen Essens für die Gesundheit. Mein Vater knüpfte an derartige Erzählungen stets ein Lob ihrer eigenen Kochkunst, was sie geschmeichelt und widerspruchslos entgegennahm, um sich wohlig eine Weile in dem Gedanken zu bewegen, daß sie ihn verwöhne.
    Meine Mutter liebte es nicht, sich auf ihre Widersprüche hinweisen zu lassen, und zwar nicht, weil sie sich nicht von einem Pedanten überführen lassen wollte, sondern weil dieser Hinweis der Wirklichkeit nicht entsprochen hätte. Sie war in der Lage, ihre Überzeugungen für eine gewisse Zeit außer Kraft zu setzen: Sie hatte das Glück, daß sie sich gar nicht widersprechen konnte.
    Mein Vater war an der Legende seiner Gefräßigkeit allerdings nicht unschuldig. Auf bemerkenswerte Weise nahm bei ihm äußerste Askese die Gestalt der Völlerei an. Wenn er allein aß und kein Gespräch seine Versenkung störte, konnte man ihn betrachten, wie er nachdenklich ein fingerdickes Stück Preßkopf abschnitt, wie sich sein Blick verlor, seine Züge sich aufheiterten, wie wenn ihm die bunten Sphären der Himmelsgewölbe vor Augen getreten seien, und wie er langsam die Preßkopfscheibe hochhob, den Mund zunächst verfehlte, erst beim zweiten Versuch traf und erst dann feststellte, wie riesig das Stück war, wenn es ihm nicht gelang, es ganz in den Mund zu stecken, wenn er ungeschickt und vergeblich mit dem Stück kämpfte, um es zum Schluß wieder auf den Teller zu legen. Er hatte auf eine grundsätzliche Weise auf alle Nahrungsaufnahme verzichtet, und er erlebte die störrische Materialität der Nahrungsmittel in der amüsierten Verzweiflung eines Mönchs, der nach Jahren der Klostereinsamkeit vergessen hat, wie man Straßenbahn fährt.
    Die Überraschung, die meine Mutter erlebte, als Florence eintrat, war so groß, daß sie zunächst glaubte, es handle sich bei der schlanken, in Schwarz gekleideten Dame keineswegs um den erwarteten Gast. Florence trat würdevoll wie das ältere Mitglied |146| einer königlichen Familie auf, und obwohl sie für ein kleines Mittagessen im Familienkreis entschieden zu reichen Schmuck trug, war ihre Brosche zu alt und zu schön, als daß es meiner Mutter gelungen wäre, ihre Erscheinung beruhigt mit der Kategorie »aufgetakelte alte Jüdin« abzutun.
    »Ist das nicht gräßlich für Sie, ein Überfall nach dem anderen von dieser entsetzlich problematischen Familie Korn«, sagte Florence zu meiner Mutter in ausdrucksvollem Tonfall und mit der schon angedeuteten Bereitschaft, über die eigene witzige Übertreibung mitlachen zu wollen. Sie ließ schon jetzt erkennen, daß sie einem Kreis angehörte, der keinen eventuell eintretenden Unglücksfall schwerer nehmen würde als eine verlorene Bridgepartie. Immer gut gelaunte Menschen bildeten ihren Umgang, nie konnte man mit ihnen in eine Situation geraten, die nicht so leicht zu bewältigen gewesen wäre wie die Tischordnung eines Diners.
    »Ich bin, fürchte ich, natürlich unmöglich und viel zu spät, das liebt man, nicht wahr, wenn man Gäste hat, die zu dumm sind, sich in der fremden Stadt zurechtzufinden, und man wartet und wartet, weil einem das Soufflé zusammenfällt.«
    Diese Worte galten in schwesterlichem Mitgefühl meiner Mutter, die auf sie kühler reagierte, als es im Kanon der von Florence benutzten Begrüßungsformeln vorgesehen war, denn es sollte einerseits durchaus kein Soufflé zur Nachspeise geben, sondern einen Quarkpudding, und andererseits war Florence nicht nur nicht zu spät, sondern auf die Minute pünktlich vorgefahren und hatte sich davon auch überzeugt, wie meine Mutter durch das Fenster des vorderen Wohnzimmers festgestellt hatte. Sie war ausgestiegen, hatte auf ihre kleine Armbanduhr gesehen und war noch genau eine Minute auf- und abgegangen, bevor sie klingelte. »Gar nicht, gar nicht«, rief mein Vater mit forcierter guter Laune, in generellen Verneinungen alles zurückweisend, was Florence an formalisierten Selbstanklagen noch vorzubringen gedacht haben könnte. Da meine Mutter meine Tante mit dem Vornamen vorstellte, war Florence augenblicklich klar, mit wem sie es zu tun hatte. Meine Tante schwankte, als sie die makellos |147| polierte Mutter Stephans sah, die ihr unnahbar wie ein Wesen aus der Zeitung vorkam, ob sie einen Knicks machen sollte. Sie zögerte und verhunzte auch diese für ihr Alter denn doch nicht mehr ganz angemessene Form der Begrüßung, indem sie nur noch eine Bewegung machte, als habe sie sich soeben den Fuß verstaucht, und

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