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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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der Witz sei nicht gegen die Juden gewesen, er habe an diese Stelle genau gepaßt und Florence habe sehr gelacht, traf am Ziel vorbei; denn meine Mutter hatte in Wahrheit nicht sein fehlendes Taktgefühl, sondern sein Witzeerzählen tadeln wollen, indem sie ihm einen Schrecken einjagte.
    Florence kannte das Bändchen, aus dem der Witz genommen war, genoß ihn aber aus ganz anderen Gründen, als meine Mutter genannt hatte, weniger, als mein Vater annahm. Die Sammlung enthielt einige Hundert gute und schlechte Witze, an denen sie sich vor allem dann erfreute, wenn die Geschichten einen aphoristischen Charakter oder einen geistreichen Winkelzug aufwiesen, weniger, wenn sie sich mit sprachlichen und landsmannschaftlichen Eigenheiten befaßten. Was sie an dem Band störte, war der Anspruch, mit dem diese Sammlung verbunden war. Die Geschichten waren von Kennern der Judaistik unter dem Gesichtspunkt zusammengetragen worden, sie seien allesamt Ausfluß der spezifischen Weisheit und Erfahrung des jüdischen Volkes, welches sich in solchen Geschichten ein Denkmal gesetzt habe, und Florence spürte in diesen Worten eine Tendenz zur Vereinnahmung und Umarmung ihrer selbst, der sie schon aus gesellschaftlichen Gründen ausweichen wollte, denn sie hielt es für ihr gutes Recht, sich von niemandem auf irgend etwas festlegen zu lassen.
    Im großen und ganzen war sie meinem Vater dennoch dankbar für die Wendung, die er der Unterhaltung gegeben hatte, |156| denn sie fühlte sich erleichtert, die Gesellschaft abgelenkt zu finden, und legte meinem Vater mit freundlichem Lächeln die Hand auf den Unterarm, um ihm zu zeigen, daß er ihr gefallen habe.
    Beim Abschied fragte Florence meine Tante, ob sie sie nicht noch in ein Wäschegeschäft begleiten wolle, sie sei so ungern allein in einer fremden Stadt.
    Dieser offenkundige Vorwand verwunderte niemanden von uns, und meine Tante errötete nur deshalb, weil sie glaubte, die ihr zugedachte Aufgabe nicht gut genug ausführen zu können, und nicht, weil sie fürchtete, in eine von Florence bereitete Falle zu gehen. Sie kam erst nach Stunden von dem kleinen Einkaufsausflug zurück. Sie war bei dieser Gelegenheit auch auf dem Bahnhof gewesen und hatte sich die Abfahrtszeiten nach Hause notiert. Zu ihrem Glück hatte meine Mutter am Schreibtisch zu tun und blickte kaum auf, als meine Tante ins Zimmer kam. Auf die Frage, wie es gewesen sei, antwortete meine Tante nur undeutlich. Sie hatte auch schon die Schwelle ihres Zimmers erreicht und konnte die rettende Tür, gleich, nachdem sie merkte, daß meine Mutter sich mit der Antwort zufriedengab, hinter sich schließen. An diesem Abend verwünschte sie zum erstenmal, Gast bei meinen Eltern zu sein, was sonst zu ihren begehrtesten Freuden gehörte, denn die Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, waren gering, und es war völlig ausgeschlossen, sich etwa zum Abendessen abzumelden. Dabei, so fühlte sie, waren Ruhe und Alleinsein das einzige, was sie noch retten konnte, nicht weil es ihren Zustand verbessert hätte, sondern weil ihre Nerven so angespannt waren, daß sie glaubte, schreien zu müssen, wenn irgend jemand eine Frage an sie richtete. Ihre Kräfte, durch die ständige Anspannung aufgerieben, waren dem Nachmittag mit Florence nicht gewachsen gewesen.
    Sie hatte nicht sofort bemerkt, in welcher Lage sie sich befand, als die schwere Autotür hinter ihr zuschlug und sie auf demselben Platz wie bei dem Würzburger Ausflug saß, der dennoch ein anderer war. Diesmal umgab sie nicht heiß und eng meine gesprächige Familie, sondern sie lehnte frei und unbehindert |157| in den Polstern und stellte sich vor, daß es so auch sein würde, wenn sie zurück nach Hause führe, nur daß dann, vielleicht, nicht die kühle Dame neben ihr saß, sondern Stephan.
    Als Florence klar und sicher dem Chauffeur die Adresse eines Wäschegeschäfts nannte, fiel meiner Tante immer noch nicht auf, daß ihre Gesellschaft zu dem angeführten Zweck ganz unnötig war, denn Florence’ Entschiedenheit ließ ihr keine Zeit zum Nachdenken. Jeder, der Florence hörte, glaubte, alles müsse so sein, wie sie es sagte, und es war klar, daß sie meiner Tante nicht um einer kleinen Finte willen die Wahl des Wäschegeschäfts überlassen hätte. Auf der Fahrt sprachen beide kein Wort. Sie hielten ihre Profile nebeneinander und sahen aus, als ob sie Modell für eine Medaille säßen, auf der zwei vergessene Spielarten der Weiblichkeit abgebildet werden sollten: die Herrscherin und die

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