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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Ekstatikerin.
    Vor dem Wäschegeschäft ordnete Florence an, daß meine Tante im Wagen zu warten habe, es dauere nicht lange. Florence war bald wieder da, zur Erleichterung meiner Tante, die darunter litt, von den Passanten neugierig hinter der getönten Scheibe betrachtet zu werden. Ihre Hände lagen nach oben geöffnet auf ihren Knien und gaben ihr das Aussehen rührender Duldsamkeit. Ihr Körper, der diese Stellung ohne Absicht gewählt hatte, wußte schon, was meine Tante erst ahnte, daß sie nämlich nach den Erledigungen im Wäschegeschäft nicht entlassen sein werde, sondern daß dann erst der entscheidende Teil der Audienz gekommen sei. Florence hielt keine weiteren Erklärungen für nötig, ihre Frage: »Sie haben noch Zeit?« war eigentlich nur eine Feststellung.
    Der Wagen verließ die Stadt nach Westen zu und fuhr über Eschborn, wo wir damals noch unsere Erdbeeren kauften, und dann über Niederhöchstadt, von wo wir seit vielen Jahren den Apfelwein bezogen, nach Kronberg am Rand des Taunus.
    Das Städtchen hatte Fachwerkhäuser, aber auch große Parks. Der Wagen bog bald in eine ruhige Allee ein, das kleinstädtische Gemeinwesen verschwand hinter blühenden Kastanien, keine Leute waren auf der Straße. Florence wollte Tee trinken und ließ |158| sich deshalb zu der im Tudorstil erbauten, ehemalig kaiserlichen Villa fahren, die jetzt als Hotel geführt wurde. Sie wußte, daß die weiten Rasenflächen und die alten Bäume ihr eine Umgebung bieten würden, die so allgemein war, daß sie zwischen Südafrika und Stockholm an jedem Ort gelegen sein konnte, in dem es regelmäßig regnete. Florence liebte allzu spezifische Aufenthaltsorte nicht. Für ihr Wohlbefinden war es erforderlich, daß Spuren der Individualität oder eines auffallenden Stils in den Räumen, in denen sie lebte, ausgelöscht waren. Für ihre eigene Wohnung war ihr dies Konzept beinahe gelungen, wenn nur nicht die beträchtliche Anzahl von Willy Korns Bildern gewesen wäre, die zwar zum größten Teil in jedem Hotel hätten hängen können, unter denen es allerdings auch einige weniger leicht zu ignorierende Exemplare gab. Nun, Willy Korn würde nicht ewig leben.
    Auch meiner Tante kam der Park der Kaiservilla wie eine Insel vor, wie das Reich der Frau, in deren Gewalt sie sich begeben hatte. Sie stieg auf dem Kiesplatz, der vor dem dunklen Haus lag, aus und sah sich schweigend um, nicht mit Bewunderung oder Staunen, sondern mit dem ahnungsvollen Blick der Verschleppten, die an ein Ziel gebracht worden ist, von wo es kein Entrinnen gibt. Florence ging auf dem Kiesweg auf und ab und gab dem Chauffeur leise Anweisungen. Er ging zum Kofferraum, holte einen leichten Seidenmantel heraus und verstaute statt dessen einen weiten Wollmantel, der große rosa Karos hatte. Meiner Tante kam es vor, als reise sie schon seit vielen Jahren mit Florence. Sie machte plötzlich einen Schritt auf sie zu, der mutig aussah. Florence ging um den Wagen herum, legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: »Kommen Sie, mein Kind!«
    Der Tee wurde auf der Terrasse getrunken, Florence bestellte dazu hellgelbe, türkise und rosa Petits fours. »Ich kann Sie verstehen, mein Kind«, begann sie, »und Sie müssen mir verzeihen, daß ich so geradezu bin, aber ich habe keine Zeit, ich kann nicht lange hier bleiben und muß bis zu meiner Abreise alles ordnen. Es wird nicht nur meine Abreise sein. Und es gibt bis dahin nicht nur Ihr Problem; Sie haben sich in eine schwierige Lage begeben, ich weiß.«
    |159| Drei Kellner kamen mit großen Silbertabletts, winzigen Teekannen, vielen weißen, gestärkten Servietten, Zitronenscheiben, Löffelchen und Tellerchen, reichten sich alles gegenseitig zu und deckten den Teetisch in einer ausgewogenen Choreographie. Florence hielt sich sehr gerade und lächelte zeremoniell, meine Tante verharrte regungslos, sie überlegte, was sie Florence anbieten könne, damit sie ihr das Leben schenkte, und ertappte sich dabei, daß sie nachrechnete, wieviel Geld sie auf dem Sparbuch habe.
    »Oh, ich weiß«, sagte Florence voller Güte, »Stephan mag Ihnen als interessanter, faszinierender Mann erscheinen, etwas anderes vielleicht, als Sie sonst zu sehen bekommen, und Sie haben recht, Stephan ist ein ungewöhnlicher Mann, ein glänzend aussehender Mann, ein Mann von unerhörtem Geist, haben Sie das schon herausgekriegt? Oder hat er sich Ihnen von seiner anderen Seite gezeigt? Nicht so geistvoll, das gebe ich zu, aber dafür möglicherweise etwas«,

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