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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Florence hielt inne und faßte meine Tante scharf ins Auge, die keine Miene veränderte, sondern geradeaus vor sich hin sah. Florence wußte nicht, wie nahe meine Tante jetzt schon einem Verlust ihrer nur noch mühsam bewahrten Haltung war, und glaubte, schärfere Geschütze auffahren zu müssen. »Möglicherweise etwas – zärtlicher?« sagte sie also und bereute sofort, über das Ziel hinausgeschossen zu haben, denn meine Tante verbarg das Gesicht in ihren Händen.
    »Aber, aber«, sagte Florence und legte ihr wieder die Hand auf den Arm, »wir sind doch hier unter uns Frauen, nicht wahr? Wir tun uns doch nicht weh, wir beide, wir sind doch einfach offen zueinander? Ach, glauben Sie mir, Sie sind nicht die erste, mit der ich meinen Kummer teilen muß. Sie können sich denken, daß ein Mann wie Stephan an jedem Finger seiner Hand ein Mädchen hat, das ich Ärmste dann trösten darf, denn dafür sind sich die Herren zu schade, sie genießen und verschwinden, sie nehmen sich das Recht heraus, zu sein wie die Jahreszeiten.« Florence fühlte sich bei ihrem Monolog immer wohler und sah mit Vergnügen, wie gut ihr die Reproduktion einer Filmpassage gelang, die ihr im Gedächtnis geblieben war, als sie den Namen des Films schon längst vergessen hatte.
    |160| Freilich entwickelte dieser Monolog auch Eigengesetzlichkeiten, er war eben nicht von ihr und nicht für diese Situation geschrieben worden. Wie leicht hätte ihn meine Tante auch abwehren können, wie mühelos hätte sie sich hinter eine berechtigte Verständnislosigkeit zurückziehen und Florence in eine peinliche Situation bringen können. Was war denn eigentlich zwischen Stephan und meiner Tante passiert? Natürlich wäre es einfältig, diese Frage einfach nur nach den Tatsachen zu beurteilen. Es gibt Augenblicke des Einverständnisses, die mehr zählen als greifbare Fakten, aber hatte es sie überhaupt gegeben? Und wenn es sie gab, waren sie dann von der Art, die Florence hätte fürchten müssen? Ob meine Tante die Pläne, die Florence mit Stephan hatte, störte, stand gar nicht fest. Sicher war nur, daß es in Frankfurt eine andere Gefahr gab, und das war Agnes. Florence kannte meine Tante doch gar nicht und begab sich dennoch auf ein Terrain mit ihr, dessen Fallgruben sie nicht übersah, und das nur, weil sie nicht hatte abwarten können, ob sich ihr Verdacht bestätigte.
    Meine Tante indessen spielte nur allzu gut mit in dem Spiel, das Florence gerade erfunden hatte. Sie war präpariert in ihre Hände gefallen. Das Mittagessen hatte ihrer Seelenruhe den Rest gegeben, sie fühlte sich tief verstrickt in Beziehungen, die sie sich bis zu diesem Essen zwar nicht erhofft, vor denen sie sich aber auch nicht gehütet hatte. Nun sah sie Stephan in Gefahr und fühlte, daß der Mensch, der ihm am nächsten stand, nämlich seine Mutter, mit ihr Verbindung aufnehmen wollte, daß Florence sie in diesen Park geführt hatte, der ihr fremdartig war, wie Stephan eben deutsch und fremdartig zugleich war, wenn er sie anlachte und ihr den Arm um die Schulter legte. Meiner Tante fiel gar nicht ein, Florence, die offenbar davon ausging, daß zwischen ihr und Stephan schon eine richtige Affäre im Gange war, zu korrigieren. Sie hätte als Lüge empfunden, das in Abrede zu stellen, wie denn die Liebenden niemals widersprechen, wenn man unter ihren Verstecken die Liebe entdeckt, und wie sie sich auch niemals vorstellen können, daß diese Liebe nicht erwidert werde. Meine Tante erschrak bei dem Gedanken, |161| daß sie an Stephan einen Liebesbrief geschrieben hatte, bevor sie sich selbst ihre Liebe eingestehen wollte. Diese Entdeckung, die ihrer Liebe etwas Öffentliches gab, erfüllte sie, die dem eigenen Herzen so wenig traute, zugleich mit Stolz.
    »Ich möchte mit Ihnen einen Vertrag schließen«, sagte Florence, die die Verwirrung meiner Tante erleichtert als Bestätigung ihres Verdachts ansah. »Zunächst möchte ich Sie bitten, mir zu versprechen, niemals etwas zu tun, was Stephan schaden könnte.« Meine Tante schüttelte heftig den Kopf, wie ein kleines Mädchen, dem dabei die Zöpfe fliegen. »Wenn wir uns darüber einig sind, mein Kind«, fuhr Florence fort, »dann machen wir nichts falsch. Was ich jetzt sage, ist sicher nicht leicht für Sie, aber es ist auch nicht leicht für mich, und doch müssen Sie es wissen: Stephan ist ein kranker Mann.«
    Weil Florence im richtigen Fahrwasser war und weil ihr nicht verborgen blieb, wie sehr sich ihr meine Tante unterwarf, verlor

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