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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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überzeugt, daß ein Gebet imstande sei, die Wirklichkeit der Welt zu ändern.
    Woher kam diese Überzeugung? Bezog sie sich auf Erfahrungen, auf geheime Wünsche, auf eine Erkenntnis, oder war sie in Wahrheit eine Charaktereigenschaft, die durch Beweise weder zu erzwingen noch zu erschüttern war und die man wie die Farbe des Haares und der Augen besaß?
    |169| Die Haltung des Monsignore zu solchen Fragen, über die er gelegentlich mit Ines Wafelaerts sprach, blieb im Dunkel. Er öffnete sich in dieser Hinsicht aus böser Erfahrung nur selten und zog es vor zu schweigen, während er uns Kinder in allen offenen Fragen ganz einfach auf den Katechismus verwies.
    Kurz vor meiner ersten Kommunion wurde unser Pfarrer krank. Er ließ sich von dem privatisierenden Monsignore vertreten, den meine Mutter immer das Eichhörnchen nannte. Als ich ihn sah, war ich verwirrt und enttäuscht. Ich hatte mich in meine kleine Bank in der Erwartung gesetzt, jeden Augenblick werde die Tür sich öffnen und der Küster einen Eichhörnchenkäfig auf das Pult des Pfarrers stellen. Ein Käfig für den Monsignore hätte groß ausfallen müssen, denn dieser Priester war viel größer und dicker als unser Pfarrer, der auch schon ein kräftiger Mann war. Sein Schädel war rund und glatt, er hatte eine orientalische Nase und wasserblaue Augen, und wenn man ihn unbedingt mit einem Tier vergleichen wollte, dann hätte ein aufgeplusterter, kampfbereiter Vogel nähergelegen als ein Eichhörnchen. Seine Stimme war hell und hatte ein Vibrato, das unversehens scharf werden konnte. Der Monsignore hatte niemals in seinem Leben mit Kindern zu tun gehabt. Wir saßen uns in dieser ersten Stunde steif und verlegen gegenüber, und unser neuer Lehrer bekam nicht viel über das heraus, was wir schon durchgenommen hatten.
    Wenige Tage nachdem meine Eltern wußten, daß mich neuerdings der Monsignore auf die Kommunion vorbereitete, nahm mich meine Mutter an einem Sonntagnachmittag mit in die Stadt ins »Insel-Hotel«. »Wenn du den Monsignore jetzt als Lehrer hast, dann sollst du ihn auch mal richtig erleben«, sagte meine Mutter mittags mit einem Blick auf meinen Vater, der auf den Suppenteller hinuntersah und nicht zeigen wollte, daß er über das, was meine Mutter plante, lächeln mußte. Dies Lächeln verwies mich ins Kinderzimmer, es entsprach seiner Methode, geheime Vorbehalte zu zeigen, ohne sie auszusprechen, und enthielt die Aufforderung an meine Mutter, Komplizin einer Ansicht zu werden, die sie nicht einmal kennenlernen durfte. »Das wird |170| eine Dichterlesung«, sagte mein Vater und lächelte noch immer, »setz dich mit dem Kind bitte nicht in die erste Reihe, sonst wird es bestimmt nicht zur Kommunion zugelassen.«
    Er begleitete meine Mutter niemals zu Menschen, die, wie er sagte, in ihr Ressort fielen. Dazu zählten nicht nur ihre Freundinnen oder die Frauen, die einmal in unserem Haushalt gearbeitet hatten, sondern auch alle seine eigenen Bekannten, die den Fehler begangen hatten, Gedichte zu veröffentlichen, und natürlich die Priester. »So wird er deinen Vater niemals zu Gesicht bekommen, und wenn er sich auf den Kopf stellt«, sagte meine Mutter und zeigte mir den gerade erschienenen Lyrikband ihres priesterlichen Freundes, ein dünnes Heftchen mit einem terrakottafarbenen Umschlag aus Büttenpapier, das den Titel ›Du Mond‹ trug. Weit eindrucksvoller als dieser Titel war für mich, daß ich nun zum erstenmal den Namen des Geistlichen erfuhr, der bisher von meinen Eltern nur »der Monsignore« genannt worden war, weil wir keinen anderen Prälaten kannten. Die Entdeckung dieses Namens war mit einer nachhaltigen Enttäuschung verbunden. Als ich las, daß der Monsignore Erich Eichhorn hieß, wurde mir blitzschnell klar, daß das Eichhörnchen, das in meiner Phantasie eine so beherrschende Rolle gespielt hatte, nichts war als ein banales Wortspiel.
    Meine Versuche, das Wort Eichhörnchen mit der massigen Erscheinung des Monsignore in Übereinstimmung zu bringen, waren nämlich nicht erfolglos gewesen. Weil ich wußte, daß er ein Eichhörnchen war, hatte ich Spuren einer nagetierhaften Tücke, einer verborgenen Schnelligkeit und einer mörderischen Gier nach Singvogeleiern auch unter seiner Fülle zu entdecken gesucht, und ich war, je länger ich ihn betrachtete, auch zu befriedigenden Ergebnissen gelangt. Ich unterschied mich also in meinem Vorgehen nicht von den Gelehrten, die ihre Untersuchungen ebenfalls in dem Bestreben anstellen, eine

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