Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
Nerzmantel trug, gestützt und auf den Platz in der ersten Reihe geführt, der durch ein Pappkärtchen reserviert war. Die Aufmerksamkeit meiner Mutter gehörte übrigens nicht der gefährlichen Wafelaerts, sondern der schönen blonden |173| Frau, die ich jetzt als die Mutter meines Mitschülers wiedererkannte.
    »Das ist ja sehr sonderbar«, flüsterte meine Mutter vor sich hin, »was will die Oppenheimer denn beim Eichhörnchen? Und natürlich gleich in die erste Reihe. Wenn mir das nicht so gleichgültig wäre, könnte da allenfalls ich sitzen. Aber ich brauche schließlich keine öffentliche Bestätigung.«
    Der Monsignore hatte offenbar nur noch auf das Eintreffen der beiden Damen gewartet. Als er sie bemerkte, verneigte er sich leicht in ihre Richtung, sah streng ins Publikum und sagte: »Ich lese neue Gedichte.«
    Ich hörte zum erstenmal Gedichte, die als Kunstwerke verstanden werden wollten. Meine Kindheit war von einer Fülle von Gedichten begleitet, gereimte Gebete, Lieder und Geschichten in Versen, aber die Gedichte, die Monsignore Eichhorn vorlas, waren ganz anders, denn man hätte niemals damit ermitteln können, wer beim Versteckspielen suchen mußte. Dennoch waren sie Mitteilungen, allerdings von verschwommener, manchmal zerrissener Art, denn sie richteten sich sämtlich an ein »Du«, ein Wesen, dem sich der Sprecher auf eine vertrackte Weise zu nähern versuchte, indem er ihm fortwährend sagte, wie fern er sich von ihm fühle und wie vergeblich diese Annäherung in Wahrheit sei. Dies »Du« war offensichtlich ein ebenso begehrenswertes wie widerspenstiges Geschöpf, denn Monsignore Eichhorn gab seinen Versen, deren tastende Worte sich jedes eindeutigen Vorwurfs enthielten, eine klagende, zuweilen bittere Stimme, die deutlicher als seine Poesie von seiner Enttäuschung sprach. Das verstand selbst ich, dem seine kunstvollen Gedichte noch ungewohnt waren: »Denn du bist schön«, begann das erste Gedicht, zu dem der Monsignore mit seinen wasserblauen Augen in sein Publikum hineinsah, durch alle Reihen hindurch bis in die letzte, wo meine Mutter und ich saßen. Während er auswendig sprach und das Bändchen nur zu dekorativen Zwecken aufgeschlagen hielt, bemerkte ich in seinem schmerzerstarrten Gesicht die Kälte seines Blicks, die ich seiner unterdrückten Erregung zuschrieb. Trotz des günstigen Anfangs |174| war dies Gedicht eine besonders vernichtende Botschaft an »Du«, dessen Schönheit nur noch wie zum Hohn gefeiert wurde.
    Schon im nächsten Gedicht schien sich der Monsignore seiner Schärfe zu schämen, die Stimme verlor ihr Zittern und fand zu weicheren Tönen, verhaltenem Seufzen. Aber der Blick des Sprechers änderte sich nicht. Er fixierte mich und würde mich nicht loslassen, bis ich deutlich die Distanz, die meine Mutter zu der Lesung hielt, mißbilligte und mich nicht mehr gegen den berückenden Zauber seiner Wortfluten sperrte. Vielleicht war es die Gegenwart von Ines Wafelaerts in ihrem mir so schrecklich vertrauten Kostüm, bei dem nur die Reitpeitsche fehlte, die meine Verwirrung verstärkte, so daß ich mich später an kaum eins der erregenden, mit der Liebe hadernden Gedichte des heiligen Mannes erinnern konnte.
    »Ich folge deinem Schatten durch das Tor«, las der Monsignore mit hoher Stimme. Aber er wirkte dabei nicht, als ob er aus schierer Gewohnheit wieder in den Ton verfallen sei, den er beim Zelebrieren der Messe annahm. Er mußte diese Wirkung vielmehr angestrebt haben, denn je länger er in der Lesung fortfuhr, desto mutiger veränderte er seine Stimme zu dem sakralen Gesang, der ihm für seine Gedichte offenbar angemessen schien. Meine Mutter schüttelte den Kopf und sah vorsichtig zu mir herüber. Ich hatte mich so weit von ihr entfernt, wie das auf zwei nebeneinander stehenden Stühlen möglich war. Sie befürchtete wohl, daß ich längst schon mit meiner Fassung rang und daß sie, wenn sie mich dabei bemerkte, selbst in die Gefahr geriete, einen Lachanfall zu bekommen. Ich war weit davon entfernt zu lachen, denn diese ungewohnte Veranstaltung nahm mich gefangen, und nur eine Frage lenkte mich ab. Wenn der Monsignore in seinen Versen »Du« sagte, dann mußte er damit doch irgendeinen bestimmten Menschen meinen, der wahrscheinlich sogar anwesend war. Meine Mutter hatte mich schon zu Beginn auf die »lieben Freundinnen« des Dichters hingewiesen, was lag näher, als daß eine von ihnen die Adressatin der betrübten Gedichte war, oder vielleicht auch mehrere von ihnen,

Weitere Kostenlose Bücher