Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
in ihr zu wachsen, und es sprach für ihre Nüchternheit, daß sie dem ersten Impuls, sich zu verschwenden, wie es die Kaufmannssöhne aus Tausendundeiner Nacht mit ihrem Geld taten, nun widerstand und überlegte, was für ihren Körper und ihre schmerzerfüllte Seele wohl zu haben sei, wenn sie sie auf dem richtigen Markt zum Verkauf anbieten würde. »Das ist ein Wert, das ist eigentlich ein ganz schöner Wert«, sagte sie laut und strich mit den Händen über ihren Körper, als wolle sie feststellen, ob er noch da sei, und sich gleichzeitig an ihm erfreuen.
    Als sie zum Waschbecken ging, um sich das Gesicht zu kühlen, stand ihr Entschluß fest. Sie hatte sich an die Gebetsübungen der Mystikerinnen erinnert, von denen sie im klösterlichen Speisesaal während des Essens hatte vorlesen hören, und sie beschloß, diese Übung um eine neue Variante zu erweitern. Sie würde von jetzt ab in äußerster Eindringlichkeit im Gebet darum bitten zu sterben, um Stephan durch dieses Opfer von seiner Krankheit zu erlösen.

|165| Zweiter Teil
STEPHAN
    |167| I.
    Wer daran gewöhnt ist, die Menschen in bestimmte Kategorien einzuteilen, hätte wohl schwer eine solche gefunden, die meine Tante und Ines Wafelaerts gemeinsam erfaßt hätte, wenn man von der wichtigen Tatsache absieht, daß sie beide Frauen waren. Allzu fremde Welten stießen in diesen Charakteren aufeinander. Wo soll man mit der Aufzählung der trennenden Merkmale beginnen? Schon ihre Herkunft war unvergleichbar – die geduckte Provinzialität des Elternhauses meiner Tante und das internationale Industriellenmilieu, in dem Ines aufgewachsen war. Meine Tante hatte möglicherweise noch nie einen Mann geliebt, während für Ines ihre Ehemänner den weitaus kleinsten Teil ihrer Affären darstellten. Als Ines Wafelaerts durch den Krieg ihr Geld verlor, verschlampte sie und zog den Lebensstil einer alten Landstreicherin der verschämten Armut vor. Als meine Tante ihr erstes Lehrerinnengehalt bezog, das im Vergleich zu ihrem Taschengeld vorher fürstlich zu nennen war, änderte sich an der pedantischen Dürftigkeit ihres Schlafzimmers nichts. Bei Ines sah die Rotkreuzschwesternhaube aus wie der herausfordernde Kopfputz einer Marketenderin, die Baskenmütze meiner Tante hingegen ließ sie wie einen Menschen wirken, der gewohnt ist, sich auf der Straße ausschließlich unter der Aufsicht geistlicher Erzieher zu bewegen. Ines dachte in ihrer Einsamkeit an die Männer, die sie am Wickel gehabt hatte, und was für klägliche Schwächlinge sie gewesen seien. Meine Tante dachte wehmütig an den Erlöser der Welt und wie wenig sie seiner Erlösungstat würdig war. Ines erinnerte sich daran, daß sie |168| noch vor ein paar Jahren jeden Mann haben konnte, meine Tante glaubte, daß niemals irgend jemand sie würde besitzen wollen. Ines war alt und krank, meine Tante jung und gesund. Dennoch merkte man Ines noch immer die frühere Sportlerin an, eine Straffheit der Haltung, eine trainierte Spannung des Körpers. Meine Tante dagegen konnte sich überhaupt nicht richtig bewegen, ihre Gesten waren vorsichtig und ungeschickt zugleich, man spürte, wie wenig sie mit ihrem Körper vertraut war. Ines war vom Leben enttäuscht, meine Tante war ohne Hoffnung von Anfang an. Für Ines war die Welt ein Chaos, ein unübersehbarer Dschungel, in dem man sich durchbeißen mußte, solange man Zähne hatte. Für meine Tante war die Welt eine glasklare Ordnung, in der sie in ihrer Unvollkommenheit an letzter Stelle rangierte. Ines hätte wahrscheinlich verschmäht, mit meiner Tante zu sprechen, aber meine Tante hätte niemals gewagt, an Ines das Wort zu richten, wenn sie ihr begegnet wäre. Worüber hätten sich die beiden auch unterhalten sollen? Und doch gab es etwas, was den beiden gemeinsam war, der Glaube an eine Lehre, die übrigens mit der geistlichen Übung zusammenhing, der meine Tante sich nach dem Gespräch mit Florence unterziehen wollte.
    Ich hatte gerade erst verstanden, daß der Glaube an die Wirksamkeit des Gebets nicht von jedermann geteilt wurde, als ich, vom Ministrantenunterricht nach Hause gekommen, meinem Vater erklärte, die Messe müsse lateinisch gesprochen werden, damit sich die Wirkung der Wandlung entfalte, und dabei bemerkte, daß er, ohne meinem Eifer zu widersprechen, ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Sowohl meine fromme Tante als auch gerade Ines, die niemals betete, standen nicht auf der Seite meines Vaters. Beide waren unerschütterlich wie ich davon

Weitere Kostenlose Bücher