Das Bett
geliebte Hypothese zu stützen, und die dabei manchmal erstaunliche Funde machen. Gerade weil eine Ähnlichkeit zwischen dem Monsignore und einem Eichhörnchen von vornherein nicht auf der Hand lag, war ich von der Genauigkeit meiner Beobachtungsgabe |171| überwältigt, die hinter dem Priester das Nagetier entdeckt hatte. Aus diesem Grund blieb ich auch später bei meiner Überzeugung, daß »Eichhörnchen« gerade aufgrund der Eigenschaften des Monsignore kein schlechter Name für ihn sei. Daß er tatsächlich so hieß, wollte ich in Zukunft als einen seltsamen Zufall betrachten. Im übrigen berührte mich eigentümlich, daß Erich Eichhorn sich auf dem Buchdeckel nicht als Priester zu erkennen gab. Dies bestätigte meine Vermutung von der proteushaften Verwandlungsfähigkeit der Eichhörnchen, die eben noch wie gezähmte Hamster vor uns sitzen und sich plötzlich mit einem Sprung ins Nichts in Luft auflösen.
So war es denn kein Wunder, daß der Monsignore auch in dem »Insel-Hotel«, in das er zu seiner Lesung eingeladen hatte, nicht in sein geistliches Habit gekleidet war. Er trug einen hellgrauen Anzug und einen dünnen grauen Pullover, dessen Kragen sein Doppelkinn mit einer hohen Bandage umgab. Er war mit zwei älteren Frauen in ein Gespräch vertieft und bemerkte uns nicht, als wir die Hotelhalle betraten. Meine Mutter wehrte sich dagegen, ihn schon hier zu begrüßen, und hielt mich mit den Worten zurück: »Die Hauptsache ist, daß er uns nachher sieht.« Ich fragte sie, wer die Frauen seien, mit denen der Dichter sprach, und zum Glück öffnete sich in diesem Moment die Aufzugtür, und Eichhorn ging mit den beiden Frauen in den hell erleuchteten Kasten, denn meine Mutter antwortete mir viel zu laut: »Oh, das sind seine lieben, seine sehr, sehr lieben Freundinnen.« Es blieb offen, ob die Verachtung oder die Heiterkeit meiner Mutter größer war. Auf jeden Fall waren ihre Gefühle bezüglich der Freunde des Monsignore Eichhorn gemischt. Den Grund dafür zu erfahren war aussichtslos, denn sie war gewöhnt, zu jedem Thema nur Stimmungen zu äußern, weil sie überzeugt war, jedermann habe alle Schritte, die zu diesen Empfindungen führen mußten, bereits mitvollzogen. Daß sie den Monsignore nicht begrüßte, entsprach der Absicht, in den Augen der anderen nicht zu seiner Gemeinde gehören zu wollen. Und ich spürte diese Absicht mit Bedauern, weil ich mich meinem Lehrer gern unter Umständen genähert hätte, die sich so vollständig von denen |172| des Pfarrsaales in St. Aposteln unterschieden. Ich wollte die Gleichgesetztheit mit diesem bedeutenden Mann genießen und erhoffte mir davon Vorteile, denn jeder Dichter gibt sich, wenn er vorliest, seinem Publikum preis und setzt als Richter Menschen über sich, die vielleicht nicht imstande sind, das Leben auch nur einer einzigen Zeile seiner Poesie in Worte zu fassen.
Die hochmütige Absonderung, die meine Mutter gegenüber der Zuhörerschar des Monsignore demonstrierte, erschien mir sinnlos. Lag unser Vorteil nicht viel eher darin, daß wir den andern Gästen vorführten, wie vertraut und freundschaftlich wir mit dem lesenden Dichter standen? Wir saßen schon im Salon B, natürlich in der letzten Reihe, als etwas eintrat, das wohl auch meiner Mutter diese Frage nicht mehr ganz so unsinnig erscheinen ließ, denn sie war sichtbar beunruhigt und verlor plötzlich das Lächeln, mit dem sie ihre Distanz zu dieser literarischen Unternehmung bekundet hatte. Alles wartete auf den Beginn der Lesung. Das Publikum, das in der Mehrzahl aus älteren Frauen bestand, saß auf seinen Stühlen. Die meisten hielten ein Exemplar des terrakottaroten Lyrikbändchens in der Hand, das man am Eingang bei einer weißhaarigen Dame kaufen konnte. Monsignore Eichhorn sprach mit einem der wenigen Männer, die seiner Einladung gefolgt waren und der sich auf die Zehenspitzen stellte, um dem großen Dichter etwas Wichtiges ins Ohr zu sagen, wozu dieser ernst und langsam nickte. Plötzlich öffnete sich die Tür noch einmal, und herein kamen zwei Frauen, die meine Mutter noch eher erkannte als ich, weil ich diese Frauen nie und nimmer hier erwartet hätte. Ich brauchte Zeit, um mir klarzumachen, daß die Frau im schwarzen Turban und mit der roten langen Jacke, deren Augen vor dem Schein der Lampen mit schwarzen Gläsern geschützt waren, Ines Wafelaerts war, die ohne ihr Fahrrad unsicher auf den Beinen wirkte. Sie wurde von einer Frau, die erheblich jünger als meine Mutter war und einen
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