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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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gerufen wird, weil eine lästige, aber im Grunde unproblematische |180| juristische Angelegenheit die vorzeitige Abreise erforderlich macht. Auch später standen die Levens dem Verlust ihrer Habe, vor allem aber des Landes, in das sie hineingeboren waren, mit einer Haltung gegenüber, die nichts mit der Selbstbeherrschung anderer Flüchtlinge, die ebenfalls aus ihrer Heimat vertrieben wurden, gemein hatte.
    Obwohl der Lebensstil der Levens an Schlichtheit schwer zu überbieten war – in Ubbia, ihrem letzten Besitz, gab es vor allem streng biedermeierliche Kirschbaummöbel, Scherenschnitte und Flickenteppiche –, pflegten sie einen auf Absonderung bedachten Eigensinn, der erst, wenn man sie lange kannte, spürbar wurde und der ihnen verbot, ihr Schicksal mit dem vieler anderer zu vereinen. Sie gehörten niemals zu denen, die etwas verloren, das wäre von vornherein eine trübe und klägliche, nicht vorzeigbare Kompanie gewesen. Wenn die Levens zur Zeit des Königs Nebukadnezar Juden gewesen wären, die an den Euphrat verschleppt worden waren, hätte man sie schwerlich mit den andern Kindern Israels an den Wassern Babylons weinend finden können. Es wäre ihnen, kaum daß sie das Zweistromland erreicht hatten, sofort darauf angekommen zu behaupten, sie hätten schon immer unter dem Klima von Jerusalem gelitten und liebten die Babylonier überhaupt.
    So verblüffend diese Haltung für alle war, die sich schon darauf eingestellt hatten, einem stundenlangen Flüchtlingsgejammer die sorgenvolle Dackelstirn des Mitleids entgegenhalten zu müssen, so unheimlich wurde den Verwandten und Freunden im Westen die Überlegenheit der abenteuerlich Geretteten. Man empfand, daß die Levens eigentlich gar nicht derart unbekümmert und distanziert tun dürften. Man war beleidigt, daß sie es sich nicht nehmen ließen, immerfort auf der Höhe der Zeit zu schwimmen und mit ihrer Strömung auch noch im herrlichsten Einverständnis zu sein, und hinter dieser spießbürgerlichen Ranküne von Menschen, die den Nächsten am liebsten in einer gedrückten Lage sehen, die aber nicht miserabel genug ist, daß sie zur Hilfe verpflichtete, steckte bei all ihren kleinlichen Vorbehalten doch eine Ahnung, deren Grauen ernstgenommen zu |181| werden verdiente. Vielleicht war die Unabhängigkeit der Levens von ihren jeweiligen Lebensumständen doch auch mit einem moralischen Mangel erkauft, mit einer Kälte des Gefühls, oder besser mit einer Illoyalität den Gegenständen gegenüber, die Treue von uns fordern dürfen, weil sie unsere Sinne, unseren Geist und unsere Seele gehegt und entwickelt haben.
    Die Levens verhielten sich wie ein erfahrener Liebhaber, der weiß, daß in jedem Beginn einer Affäre schon ihr Ende beschlossen liegt, und der deshalb, um die Verwirrungen des Gefühls zu vermeiden, von vornherein darauf achtet, sich nicht zu sehr zu verlieben. Er verhindert damit zwar die Möglichkeit, sich einmal, zum erstenmal, wirklich fesseln zu lassen, aber er schätzt diese Chance zu gering, um dafür das Risiko eines leidenden Herzens einzugehen. Er hat sich zu sehr an die Atmosphäre von Kälte und Einsamkeit, in der er in Wahrheit lebt, gewöhnt, um sie als beklagenswert zu empfinden. Er glaubt vielmehr, es ganz gut auf die Dauer so aushalten zu können. Nur sehr selten ereignet es sich, daß er sich schließlich revidieren muß, denn vertane Gelegenheiten haben keine Beweiskraft.
    In Aimée war diese Fähigkeit, sich vom Schicksal nicht überwältigen zu lassen, eine Fähigkeit, die in ihrer Familie erblich war, obwohl sie jahrhundertelang nicht benötigt wurde, besonders ausgeprägt. Den Abstand, den sie zu allem, was sie umgab, einhielt, bezog sie auch auf ihre Eltern und auf ihre Geschwister, auf ihre Schönheit, auf ihre Sprache und auf ihren Gott. Im Grunde war alles, was anderen von Bedeutung war, für sie eine Quantité négligeable, aber nicht aus einer Schlaffheit des Geistes heraus, sondern als Ergebnis einer ständig geübten Disziplin. Wenn sie nicht ein einziges Mal versuchte, ihre Eltern, die auf schwierigen Wegen aus dem Stalin in die Hände gefallenen Estland nach London gelangt waren, aus Paris, wo sie selbst durch die Hilfe einer sozialistischen Jugendorganisation vorläufig wohnte, ein Zeichen zu geben, daß sie noch lebe und es ihr gutgehe, dann war das nicht Gedankenlosigkeit oder Grausamkeit, sondern ein Training für die sicher noch bevorstehenden Zeiten, in denen es unmöglich sein würde, ihnen zu |182| schreiben, und

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