Das Bett
in denen sie über die Trennung keinen Schmerz empfinden wollte.
Sie wollte überhaupt niemals Schmerz empfinden, und sie war ihr in ihrem zwanzig Jahre währenden Leben bisher ohne nennenswerte Leiden davongekommen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit darauf, allem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen und das Schmerzhafte, das nicht vollständig zu vermeiden war, zu betäuben, zu überschwemmen oder zu übersehen. In ihrer familiären Umgebung fiel nicht auf, daß sie selten lachte, weil es niemand auf Ubbia für geschmackvoll und erforderlich hielt, Scherze zu machen. Sie besaß keinen Humor und wenig Sinn für unfreiwillige Situationskomik. Aber es zeigte sich doch mit der Zeit, daß ihr Lächeln, wenn sie es einmal zuließ, im wahrhaften Sinn des Wortes bezaubernd war. Das sollte es aber auch sein, denn Aimée wußte, was von einer Frau erwartet wurde, und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, mehr als alle anderen Frauen zusammen diesen Erwartungen gerecht zu werden. Was sie dann mit den verrückt gemachten Anbetern anfangen würde, überließ sie der Laune des Augenblicks oder dem Gebot der Opportunität, den beiden einzigen Gebietern, die sie in ihrem Leben anerkennen wollte.
»Du mußt immer etwas Gerafftes anhaben«, sagte Aimée zu Ines Wafelaerts und gab ihr einen flüchtigen Kuß, als sie die alte Freundin ihrer Eltern bald nach ihrer Ankunft in Paris in deren Hotel abholte. Ines war, wie in jedem Jahr, aus Frankfurt gekommen, um sich Kleider zu kaufen, das letzte Mal übrigens vor dem Ausbruch des Krieges, dessen Folgen für den Rest ihres Lebens mit dieser anmutigen Gewohnheit Schluß machten. Obwohl Aimée sie vorher nur selten gesehen hatte, weil das platte Land des Baltikums Ines weniger lockte als afrikanische Ziele, war ihre Beobachtung präzis: Tatsächlich bevorzugte Ines Wafelaerts Kleider, deren Stoffbahnen asymmetrisch um den Körper gerafft waren und seine Formen betonten. Diese kunstvollen Raffungen, die Ines einzig und allein einem aus Armenien stammenden, schnurrbärtigen Couturier auf dem linken Seineufer zutraute, vermittelten etwas von dem Effekt, der entsteht, wenn eine nackte Frau, die beim Baden |183| überrascht wird, versucht, sich mit einem kleinen Handtuch zu bedecken, oder einer schweren Männerhand, die Fluten von Atlas zerdrückt, um die darunter liegende Taille zu umfassen. Als Ines sich ihren Kleiderluxus nicht mehr leisten konnte, drückte sich ihre Liebe zu gerafftem Stoff nur noch in ihrem gefältelten schwarzen Turban aus, den ich kannte und fürchtete und der ihr wichtig war, weil er sie als letztes an ihre modischen Träume erinnerte und ihre geliebten, von Künstlerhand mit tausend Nadeln um ihren Körper gesteckten und schließlich in Frankfurt verbrannten Kleider ersetzen mußte.
Ines trug an jenem Tag, als Aimée sie in ihrem Pariser Hotel zum Mittagessen abholte, ein Kleid, das nur schwach an ihrer rechten Schulter gerafft war. Die Falten, die sich in dem zarten schwarz-roten Crêpe de Chine durch diesen Kunstgriff ergaben, fielen so lose herab, daß dieses Kleid einem Menschen, der Ines’ Geschmack nicht kannte, niemals als die sanftmütige Schwester der dramatischen Gewänder, die Ines sonst vorzog, erschienen wäre. Ines bewunderte daher Aimées Scharfblick, hielt es aber dennoch für richtig, dem Mädchen nicht recht zu geben, und behauptete aus Ärger, sich auf einen derart einfachen Nenner gebracht zu sehen, in ihrem ganzen Leben noch nicht ein einziges gerafftes Kleid getragen zu haben. Es fiel ihr nicht ein, sich mit einer solchen Behauptung lächerlich vorzukommen, da sie gar nicht die Absicht hatte, Aimée zu überzeugen. Solch ein Dialog hatte ganz andere Funktionen in ihren Sprechgewohnheiten. Ohne anderen Frauen ernsthaft böse sein zu können, weil sie sie in einer Mischung aus Haremsgesinnung und Kameraderie als Mitbewerberinnen um die herrlichen Männer ansah, biß sie sich doch recht gern mit ihnen herum, um ihnen kurz darauf, wenn es darum ging, einen Mann zu erobern, auf das schwesterlichste beizustehen.
Aimée sprach hingegen meist nur zu sich selbst, und ihre Worte richteten sich auch, wenn es anders klang, in Wahrheit niemals an ein Gegenüber. Ines’ Worte hörte sie sich erst gar nicht richtig an. Sie trat unruhig von einem Bein auf das andere, denn sie war sehr hungrig wie immer, seit sie denken konnte, |184| und hatte erst neulich in ihr Journal geschrieben: »Wenn ich keinen Hunger mehr habe, bin ich erwachsen.«
Wie alle Menschen, die
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