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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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federleicht!«
    |177| In diesem Augenblick überstürzten sich die Ereignisse. Wie stets in diesem Haus, geräuschlos nämlich, sprang die Tür des dämmrigen Zimmers auf. Zugleich trugen mich unwiderstehliche Gewalten, die mit denen, die die Tür geöffnet hatten, in Beziehung standen, hinter meinem Ofenschirm hervor und zurück an meinen alten Platz hinter die Augen von Frau Oppenheimer, der schönen Mutter meines Mitschülers. In der Tür aber stand, die Reitpeitsche in der Hand, mit schwarzem Turban und feurig glühender Jacke, Ines Wafelaerts und übersah die Situation im Zimmer mit einem einzigen Blick durch ihre undurchsichtigen Brillengläser.
    Ich fühlte bereits quer über meiner Stirn den Schlag, den sie Frau Oppenheimer sogleich versetzen würde, und tastete unwillkürlich mit meiner Hand über meine Augenbrauen entlang, als sich meine Mutter zu mir herunterbeugte und mir mit äußerster Selbstbeherrschung zuflüsterte: »Weißt du, wer ›Du‹ ist? Das ist die alte Wafelaerts, mit der will er gern barfuß auf Delos Tänze aufführen, immer schon!«
    Als meine Mutter das letzte Wort gesprochen hatte, konnte ich auf ihrem Gesicht ganz deutlich sehen, wie dieses Bild seine volle Gewalt entfaltete. Sie war nun einem schmerzhaften Lachen preisgegeben, und das in einem Augenblick, in dem der Monsignore zwischen zwei Gedichten eine stimmungsvolle Atempause einlegte. Es half ihr nichts, daß sie ihr Taschentuch vor den Mund preßte, denn dieses Tuch hatte sie während der Lesung so klein geknüllt, daß man darin keinen Laut mehr ersticken konnte, und schon gar nicht die Geräusche, die meine Mutter jetzt von sich gab.
    Die anderen im Saal aber hörten wahrscheinlich dann doch nicht mehr als ein tiefes Seufzen, und diejenigen, die sich daraufhin umdrehten, zu denen übrigens weder Ines Wafelaerts noch Frau Oppenheimer gehörten, sahen nur eine Frau, die in ihren Schoß blickte, als sei sie durch die Lesung in meditative Ruhe versetzt worden. Ich versuchte verzweifelt auszusehen, als ob ich nichts gehört hätte, aber die Schamröte in meinem Gesicht konnte ich einfach nicht besiegen. Darum war ich wie erlöst |178| und vergaß ganz meinen Wunsch, mich dem Monsignore zu zeigen, als meine Mutter nach dem letzten Wort fluchtartig den Saal mit mir verließ. Sie genierte sich offenbar nicht im mindesten. Draußen tat sie, als sei der Lachanfall ihr gutes Recht gewesen, und wies meine Vorwürfe weit von sich.
    Unserem grußlosen Abschied vom Monsignore gab meine Mutter einen anderen Grund. Noch während das Publikum ergriffen applaudierte, hatten sich Ines Wafelaerts und Frau Oppenheimer erhoben und waren auf den geistlichen Dichter, der sich völlig verausgabt hatte, zugegangen, um ihm die Hände zu schütteln. Meine Mutter empfand diesen Glückwunsch als Demonstration und sagte zu mir im Aufzug: »Wenn seine lieben, lieben Freundinnen da sind, dann muß ich nicht da sein. Darauf kann ich gut verzichten.«

|179| II.
    In der Zeit, als Stephan Frau Oppenheimer kennenlernte, trug sie noch einen andern Namen. Er wußte gar nicht, daß sie nun verheiratet in Frankfurt lebte, und er sollte es auch erst kurz vor seiner Rückreise nach New York erfahren.
    Sie hieß Aimée von Leven, als sie im Baltikum auf die Welt kam, auf dem kleinen Besitz, der ihren Eltern nach den Enteignungen der Revolution geblieben war. Eine aus diesen Tagen gerettete Photographie zeigt die ganze Familie Leven vor dem niedrigen, efeubewachsenen hölzernen Gutshaus stehend: Die Mutter trägt einen städtischen Hut, der Vater hat einen grauen Straßenanzug an, Aimée, im einfachen weißen Kleid, ist achtzehn, daneben ihr Bruder und ihre kleine Schwester. Keine der Personen macht einen ländlichen Eindruck. Sie wirken wie Reisende, die soeben angekommen sind und bald wieder weiterreisen müssen. Nichts läßt erkennen, daß diese Menschen vor ihrem eigenen, ihnen seit vielen Generationen gehörenden Haus stehen. Das Bild stammt aus dem Jahre 1937, wie mit Bleistift auf der Rückseite geschrieben steht. Es ist ein eigentümliches, beinahe prophetisches Dokument, denn tatsächlich stand der bisher überaus seßhaften Familie Leven eine jahrelange Reise bevor, besser eine Wanderschaft ohne Ziel, nämlich die Vertreibung von ihrem Boden, die sie, wenn man als Nachgeborener diese Photographie betrachtete, bereits akzeptiert zu haben schienen, und zwar ohne Trauer und Tränen, einfach so, wie wenn man aus seinem Ferienhotel durch ein Telegramm nach Hause

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